Liebe Stadtgesellschaft, liebe Engagierte,

aufgrund der aktuellen Abschiebungen und des damit verbundenen inhumanen Umgang mit Schutzsuchenden in unserer Stadt haben sich Einzelpersonen, verschiedene Initiativen und Organisationen zusammengeschlossen und einen offenen Brief an unsere Oberbürgermeisterin Henriette Reker, unsere Stadtdirektorin Andrea Blome und die Leiterin der Ausländer:innenamtes Ulrike Willms formuliert. Dieser wurde heute verschickt. 


Ab heute
wird der Offene Brief veröffentlicht und kann ebenso unterzeichnet werden. Dazu können Personen einen Mail mit ihrem Vornamen und Namen und ggf. einer Organisation/Initiative an machmit@ihaus.org schicken, mit der Bitte um Aufnahme als Unterzeichnende. 


Wir danken Euch sehr für Eure Solidarität und freuen uns auf viele Unterzeichnende. Sie und Ihr sind und seid herzlich eingeladen, diesen Brief weiter zu teilen. 


Wir haben uns vorgenommen, wöchentlich an die Verantwortlichen zu schreiben, mit den jeweils dazukommenden Unterstützenden.
Für weitere Fragen stehen wir Ihnen und Euch gerne zur Verfügung.

Marianne Arndt und Elizaveta Khan 
(für die Unterschriftensammlung des offenen Briefes) 


Jetzt im Social Media mit-machen: Grafiks und Texte


Offener Brief der Stadtgesellschaft – Köln hat sich dazu verpflichtet, ein Sicherer Hafen für geflüchtete Menschen zu sein

Sehr geehrte Frau Reker, sehr geehrte Frau Blome, sehr geehrte Frau Willms,

der inhumane Umgang bei der Abschiebung geflüchteter Menschen in unserer Stadt, insbesondere mit Kindern, stellen Köln als „Sicherer Hafen“, Köln als „Europäische Hauptstadt der Vielfalt und Integration“ und Köln als “Kinderfreundliche Kommune” dramatisch in Frage! 

Wir fordern die Politiker:innen unserer Stadt dazu auf, sich aufrichtig für eine echte Integration und Inklusion einzusetzen und der Stadtverwaltung entsprechende Handlungsrichtlinien zu geben. 

Zu einem Sicheren Hafen gehört, laut Beschluss des Stadtrats vom 14. Februar 2019, dass die Kommune…

…für alle geflüchteten Menschen – unabhängig vom Fluchtweg – für ein langfristiges Ankommen sorgt. Um ein gutes und sicheres Leben in der Kommune zu gewährleisten, müssen alle notwendigen Ressourcen für eine menschenwürdige Versorgung, insbesondere in den Bereichen Wohnen, medizinische Versorgung und Bildung und für die gesellschaftliche Teilhabe der Aufgenommenen zur Verfügung gestellt werden.

…für Bleibeperspektiven eintritt und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen Abschiebungen einsetzt. Sie ist nicht nur Sicherer Hafen, sondern zugleich Solidarische Stadt für alle Menschen.

Köln hat sich dazu verpflichtet, ein Sicherer Hafen für geflüchtete Menschen zu sein.

Mit überwältigender Mehrheit hat sich die Stadt zum „Sicheren Hafen“ erklärt. Damit geht eine Haltung einher, die wir vor allem in Bezug auf die aktuelle Abschiebepraxis in unserer Stadt vermissen. Menschen werden massiv unter Ausreisedruck gesetzt und vor Ort bei der Ausländerbehörde festgenommen. In der letzten Woche, aber auch schon davor, wurden Menschen abgeschoben, die jahrelang hier gelebt und gearbeitet haben, und erst durch ein von der Ausländer:innenbehörde auferlegtes Arbeitsverbot ihren Lebensunterhalt durch die Solidarität unserer Gesellschaft bestreiten mussten.

Mit dem Siegel “Kinderfreundliche Kommune” müssten auch Rechte von Kindern gewahrt werden, die auf traumatisierende Weise von der Stadt Köln abgeschoben wurden und obendrein in dieser empfundenen Gewaltsituationen als Dolmetschende fungierten. Wir werden den Verein „Kinderfreundliche Kommune“ über diese Abschiebepraxis und das Nichteinhalten von universellen Kinderrechten, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben sind, informieren.

Wir haben bisher die Erfahrung gemacht, dass sich die Ausländer:innenbehörde an die beschlossenen Selbstverpflichtungen für Geflüchtete hält und als „Sicherer Hafen“ alle Möglichkeiten nutzt, um Menschen weiter in Köln dulden zu können. Warum hat sich dies so dramatisch geändert?

Wir erwarten, dass die Ausländer:innenbehörde ab sofort wieder alle Ermessensspielräume nutzt, um Abschiebungen auszusetzen, bis entsprechende Gesetze von Bund und Land erlassen werden.

Wir fordern: 

1. Eine humane Ausreise, wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Es darf kein überfallartiges und bedrohliches Szenario geben. Für eine anwaltliche Vertretung und für einen ärztlichen und sozialen Beistandschaft muss gesorgt werden!

2. Dass die vom Rat beschlossene Umgestaltung der Ausländer:innenbehörde zur Willkommensbehörde umgehend in Angriff genommen wird!

3. Die Abschiebepraxis der Ausländer:innenbehörde zu kontrollieren und die Ausländer:innenbehörde anzuweisen, die Erlasse des Landesministeriums wie auch der Bundesministeriums des Innern unter Ausschöpfung aller Ermessenspielräume positiv umzusetzen!

Die benannten Auszeichnungen der Stadt dürfen kein Etikettenschwindel sein und verpflichten zu einer humanen Politik, insbesondere in der Ausländer:innenbehörde. 

Universelle Menschenrechte zu wahren ist unsere Motivation.

Wir wünschen, dass dies auch eine Motivation der Verantwortlichen unserer Stadt wird!

Mit Wut im Bauch

Ihre Stadtgesellschaft

Erstunterzeichnende

Eli Abeke, KölnZeigtHaltung, Bündnis14 Afrika, Runder Tisch für Integration

Delshad Abramians, Integrationshaus e.V. 

Klaus Adrian, KölnZeigtHaltung,  AK Politik der Kölner Willkommensinitiativen

Moghtada Ahmadi, Stadtbewohner

Marianne Arndt, KölnZeigtHaltung, Mosaik Köln Mülheim e.V., AK Politik der Kölner Willkommensinitiativen

Jarosław Bąk, Integrationshaus e.V.

Ewa Bak, Stadtbewohnerin

Vivian Berhane, Mitglied im Integrationsrat der Stadt Köln, Mitglied im Kölner Runden Tisch für Integration

Wenzel Blickhäuser, Integrationshaus e.V. 

Walla Blümke, Vorstandsmitglied Verein EL-DE-Haus e.V., Mitglied Kinderschutzbund.

Prof. Dr. Kemal Bozay,  KölnZeigtHaltung, interKultur e.V.

Gabi Busche, FIZ e.V.

Sabine Dekant, Solibund e.V.

Elena Cobanoglu, FIZ e.V.

Annette de Fallois, KölnZeigtHaltung

Ahmet Edis, stlv. Vorsitzender des Integrationsrat der Stadt Köln

Abbas Fidan, Alevitisches Kulturzentrum e. V. Köln Porz

Ciler Firtina, Vorstandsmitglied Verein EL-DE-Haus e.V.

Andreas Fischer, Integrationshaus e.V. 

Nils Freund, KölnZeigtHaltung , Aktion Neue Nachbarn

Amelie Frerichs, FIZ e.V.

Hanim Ezder, Geschäftsleitung Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen e.V. (BFmF)

Ute Gau, FIZ e.V.

Andrej Harder, Stadtbewohner

Isabel Heinrichs, KölnZeigtHaltung , Aktion Neue Nachbarn

Christian Huber, Stadtbewohner

Sabrije Kelmendi, KölnZeigtHaltung

Elizaveta Khan, KölnZeigtHaltung, Integrationshaus e.V., Bürgerstiftung KalkGestalten

Feodora Khan, Profitänzerin

Sati Kizaran, FIZ e.V.

François Koutouan, DAKO e.V.

Peter Krücker, Vorstandssprecher Caritas Köln, Stellv. Sprecher des Runden Tisches für Flüchtlingsfragen

Bärbel Künz, FliehKraft – Kölner Flüchtlingszentrum

Dr. Eugen Litvinov, Kölner Verbund der Migrantenorganisationen (KVMO) e.V., Verein für fachliche Unterstützung und Begleitung der migrantischen Organisationen – MO-Hilfe e.V.

Vinz Lanzarotta, Integrationshaus e.V. 

Jonas Linnebank, KUNTs e.V./Kölner Literaturzeitschrift KLiteratur

Angelika Link-Wilden, KölnZeigtHaltung, Vorstandsmitglied Verein EL-DE-Haus e.V.

Tayfun Keltek, Vorsitzender des Integrationsrat der Stadt Köln

Bourhen Maddouri, Stadtbewohner 

Karim Maddouri, Schüler

Lili Maddouri, Schülerin 

Beate Mages, Bürgerzentrum Vingst

Maximilian Mantsch, Student der Sozialen Arbeit

Hanen Melliti, Integrationshaus e.V. 

Dr. Marcus Meier, Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.

Elke Merten, FIZ e.V.

Inan Middelhoff, Bürgerhaus MüZe, interKultur e.V.

Dr. Denis Mukuna, Vorsitzender der Afrikanische Gemeinde Köln e.V.

Caterine Münch, Raum-B / Diakonisches Werk Köln und Region gGmbH 

Ines Nadrowski, Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.

Dominic Passgang, Gruppe „Mosaik“ der Bürgerplattform STARK! im Kölner Norden

Patrizia Powierski, Integrationshaus e.V. 

Claus-Ulrich Prölß, KölnZeigtHaltung, Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Susanne Rabe-Rahman, KölnZeigtHaltung

Ole Reichardt, im Namen der Bürgerplattform STARK! im Kölner Norden

Der Vorstand des Rom e.V.

Sebastian Rose, KölnZeigtHaltung, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.

Ruth Scheuer, Stadtbewohnerin

Cornelia Schmerbach, Vorstandsmitglied Verein EL-DE-Haus e.V.

Walburga Schürmann, Geschäftsführerin Deutsch-Türkischer Verein Köln e.V.

Margit Seimel, Vorsitzende des Presbyteriums der evangelischen Kirchengemeinde Köln Bickendorf

Elena Shmidt, Integrationshaus e.V. 

Ilka Simon, AntiDiskriminierungsBüro Köln / Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.

Ahmet Sinoplu, Coach e.V.

Kemal Sovuksu, Solibund e.V., und KVMO e.V.

Gregor Stiels, KölnZeigtHaltung

Nikola Swietojanska, Lehramtstudentin

Ferdos Tadjini, FIZ e.V.

Ayse Tekin, Kölner Runder Tisch für Integration

Wolfgang Uellenberg van Dawen, KölnZeigtHaltung, Kölner Runder Tisch für Integration

Hakan Uzun, interKultur e.V.

Gertrud Weitze-Altreuther, Integrationshaus e.V. 

André Weßel, KölnZeigtHaltung, Seebrücke Köln

Prof. Jürgen Wilhelm, Vorstand Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.

Claudia Wörmann- Adam, Co-Vorsitzende EL-DE-Haus Verein und Sprecherin Köln stellt sich quer

Gaku Yamane, Künstler

Azusa Yamane, Stadtbewohnerin

Mitsuki Yamane, Schüler

Ichika Yamane, Kindergartenkind

Eva Maria Zimmermann, GEW

Erstunterzeichnende Organisationen und Initiativen

Allerweltshaus Köln e.V. 

Bürgerplattform STARK! im Kölner Norden

Deutsch-Türkischer Verein Köln e.V.

FIZ e.V. – Freunde des interkulturellen Zentrums

Integrationshaus e.V.

interKultur e. V.

KölnZeigtHaltung

Mosaik Köln Mülheim e.V.

Seebrücke Köln e.V.

Weitere Unterzeichnende (ab 21.06.2022 – 27.06.2022)

Heidrun Abel, Vorsitzende des Landesfachbereichs Medien, Kunst und Industrie NRW in ver.di, wohnhaft in Köln.

Conny Schmerbach, Mitglied des Runden Tisch für Flüchtlingsfragen und Runder Tisch für Integration

Salman Abdo, Integrationshaus e.V.

Carmen Bleker, Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Antonella Giurano, Offene Welt e.V.

Jashar Erfanian, Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Kosmas Loutsopoulos, Deutsch Griechisches Kulturzentrum Köln – Porz e.V.

Evangelia Loutsopoulou, Deutsch Griechisches Kulturzentrum  Köln – Porz e.V.

Panagiotis Tsavelis, Deutsch Griechisches Kulturzentrum Köln – Porz e.V.

Parthena Tsitiridou, Deutsch Griechisches Kulturzentrum Köln – Porz e.V.

Eleni Panagiotelidou, Deutsch Griechisches Kulturzentrum Köln- Porz e.V.

Johanna Bült, Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Hila Qasem, Kölner Flüchtlingsrat e.V.

Angelika Prömm, Kölnerin

Christine Müller, Stadtbürgerin

Wolfgang Pilgrim, “Willkommen in der Moselstraße” und “Wohnen Wagen!”

Vera Witteck, Stadtbewohnerin

Daria Beletchenko, Stadtbewohnerin

Sefko Krkic, Stadtbewohner

Sercan Karaağaç, Vorsitzender der Jusos Köln

Mario Michalak, Stadtbewohner

Ferdaous Kabteni, Stadtbewohner

Tjark Eilts, Stadtbewohner

Svenja Wichmann, Stadtbewohnerin

Elena Ranker, Stadtbewohnerin

Thomas Spies, Stadtbewohner

Helen Hermanns, Stadtbewohnerin

Anna So-Shim Schumacher, AntiDiskriminierungsBüro Köln / Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.

Prof. h.c. Igor Epstein, Weltmusik, Klezmer und Ästhetik Akademie, Integration- und Begegnungszentrum e.V.

Adrian Kasnitz, Stadtbewohner

Tanja Schmieder, cityofhope cologne e.V. 

Julie Kohl, Stadtbewohnerin

Marika Biegrl, Stadtbewohnerin

Veronika Dimke, Stadtbewohnerin

Thomas Spies, Stadtbewohner

Sabine Rascher, Stadtbewohnerin

Timo Glatz, Stadtbewohner

Marco Franco, Stadtbewohner

Gabi Viol, Stadtbewohnerin

Sarah Mchugh, Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V.

Juliane Antoine, Afghanistan not safe Köln/Bonn, Mosaik e.V. Köln

Luziano Gonzalez Tejon, Deutsch- Spanischer Kulturkreis “Antonio Machado” eV.

Sirri Sofian, Stadtbewohner

Viktoria Anikanova, Stadtbewohnerin

Ayat Abdullah, Stadtbewohnerin

Marie Kuster, Stadtbewohnerin

Leon Follert, Stadtbewohner

Johannes Alt, Stadtbewohner

Jörg Detjen, MdR, DIE LINKE

Ulrike Detjen, Landschaftsversammlung Rheinland, DIE LINKE

Zuzanna Pacek, Stadtbewohnerin

Dr. Günter Bell, Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE im Rat der Stadt Köln

Anas Ouriaghli , Projekt “Roots”

Ralf Berger, PHOENIX Köln e.V.

Claudia Günter, Stadtbewohnerin

Chris Krug-Borsch, Stadtbewohner

Momo Sissoko, Jama Nyeta e.V.

Aleksander Kuzmenko, Stadtbewohner

Thomas Bönig, Kulturklüngel

Sina Vogt, Stadtbewohnerin

Hojin LEE, Stadtbewohnerin

Lamyaa Almahmoud, Stadtbewohnerin

Sergen Canoglu, Kreissprecher von DIE LINKE

Tim Carow, Stadtbewohner

Markus Kasperek, Stadtbewohner

Sevim, Stadtbewohnerin

Mattis Dieterich, Vorsitzender der SPD im Kölner Norden

Florian Nellinger, Stadtbewohner

Harald Fuchs, Stadtbewohner

Eve Dekant, Stadtbewohnerin

Karin Billerbeck-Saar, Stadtbewohnerin

Viktoria Lukoschek, Stadtbewohnerin

Daniel Franke, Stadtbewohner

Dr.Inge Mirtschink, Stadtbewohnerin

Ulla Knie, Stadtbewohnerin

Noelle O’Brien-Coker, Redakteurin/Journalistin und Mitglied bei DEMASK Cologne

Gülistan Çaçan, Bürgerzentrum Vingst – Vingster Treff

Anna Simon, Projektmitarbeiterin Gastro 8.0

Anne Probst, Caritasverband für die Stadt Köln e.V.

Susanne Spindler, AG Bleiben

Amal Alnukari, Stadtbewohnerin

Omar Mohammad, Stadtbewohner

Yara Mohammad, Stadtbewohner

Arndt Bahrfeck, Stadtbewohner

Agnes Callsen, Stadtbewohnerin

Ole Callsen, Stadtbewohner

Katharina Schück, Migrafrica

Isabella Büsch, Stadtbewohnerin

Hannah Pütz, Stadtbewohnerin

Eleonora Goldman, Stadtbewohnerin

Maria Fichte, Stellv. Geschäftsführerin CSH Köln e.V., Sozialraumkoordinatorin Mülheim-Nord / Keupstraße, CSH Köln e.V.

Marita Reinecke, Stadtbewohnerin

Johanna Werz, Stadtbewohnerin

Marion Tekolf, Stadtbewohnerin

Anna Klimaszewska-Golan, Vizevorsitzende des Integrationsrates Köln und Vorstandsvorsitzende EUROPOLIS Köln e.V.

Jana Kemper, Stadtbewohnerin

Ahmad Usamah Sabsabe, Stadbewohner

Heike Drexler, Betreuungsverein des Caritasverbandes für die Stadt Köln e.V.

Boris Sieverts, Stadtbürger

Irene Wülfrath-Wiedenmann, Kölner Großeltern for Future

Klaus Kirschbaum, Stadtbürger

Ulla Wirtz, Stadtbewohnerin

Jonathan Sieger, Stadtbürger

Bettina Heidelberg, Stadtbürgerin

Wolfgang Stahl, Stadtbürger

Bruno Grünewald, Stadtbürger

Rejane Radschinski, Stadtbürgerin

Markus Geis, Migrafrica VJAAD e.V., Jama Nyeta e.V.

Alda Pascual Henkel, Stadtbürgerin

Inken Waltz, Stadtbürgerin

Wibke Schaeffer, Stadtbürgerin

Dominik Dannenberg, Stadtbürger

Ulrike Eichel-Selbach, Flüchtlingshilfe Zündorf und Ensen

Berit Kreutz, Willi- Eichler-Akademie

Petra Tilgner, Stadtbürgerin & Mitglied Mosaik Köln Mülheim e.V.

Barbara Maubach, Stadtbürgerin

Ulrike Brandt-Heimbrecht, Stadtbürgerin

Markus Peters, Vorstand SKM Köln – Sozialdienst Katholischer Männer e.V.

Meike Lobmeyer, VJAAD Migrafrica e.V.

Ivonne Weiler, Stadtbürgerin

Unterzeichnende Organisationen

ISS Kinder- und Jugendhilfe g GmbH

Willkommen in der Moselstraße

Weltmusik, Klezmer und Ästhetik Akademie, Integration- und Begegnungszentrum e.V.

agisra e.V

FluMI (Initiative der Kirchengemeinde Vingst Höhenberg)

Wir haben Platz

AG Bleiben

Afghanistan not safe Koeln/Bonn

Machbarschaft Petershof e.V.

DEMASK

BI Mehr Grün in Kalk

Pflanzenstelle Kalk

Naturfreund:innen Kalk

Grüne Jugend Köln

Die Neuerburg e.V. (Hausprojekt)

SKM Köln – Sozialdienst Katholischer Männer e.V.

Vorstand Alte Feuerwache

von Alexander Estis

Seit vielen Jahren scheint sich der Betrieb abzumühen in seinen Versuchen, endlich diverser zu werden. Freilich kommt er dabei weder wirklich ins Schwitzen – noch über Versuche hinaus. Denn die Mittel, die bislang zur Anwendung kommen, sind meist scheinhaft. Und jene Diversität, die sich als Ausweis des Betriebs exponieren lässt, ist definitionsgemäß nicht die anzustrebende: Wäre sie erreicht, bräuchte es kein Exponiergehabe.

Quoten, Checklisten, Sonderprojekte, Schwerpunkteditionen dienen Kultureinrichtungen hervorragend dazu, sich zu profilieren und die eigene Diversität zu inszenieren. Echte Vielfalt wird dabei höchstens als sporadischer Nebeneffekt erreicht. 

Gerade Quoten bleiben – so notwendig sie in bestimmten Bereichen sein mögen – oftmals nur ein sehr grobes Werkzeug, das insbesondere intersektionale Aspekte meist nicht adäquat zu erfassen vermag: Wird eine pauschale Kategorie wie „Frauen“ per Quote bevorzugt, können jüngere privilegierte Frauen in den Fokus rücken, während gleichzeitig von mehrfacher Diskriminierung betroffene Personen, wie beispielshalber ältere Männer mit Migrationshintergrund und aus niedrigen sozialen Schichten, aus dem Blickfeld geraten. Jeweils nicht fokussierte Merkmale, die aus einer intersektionalen Perspektive unbedingt zu berücksichtigen wären, fallen bei Quotenregelungen oft gänzlich weg – und die jeweiligen Personen durch das Raster. So setzen sich spezifische Diskriminierungen teilweise in explizit gegen Diskriminierung gerichteten Maßnahmen fort oder werden durch diese Maßnahmen sogar zementiert, auch wenn andere spezifische Diskriminierungen dadurch auf kurze Sicht korrigiert werden.

Checklisten degradieren Diversität zu einer abzuarbeitenden Trockenübung. Sonderprojekte sind punktuell, in ihrer Konzeption oft sehr eng gefasst und bewirken keinen Strukturwandel. Besonders charakteristisch – und in ihrer Genese durchaus nachvollziehbar – sind gutgemeinte Maßnahmen, die zwar Vielfalt fördern sollen, die Geförderten jedoch auf deren jeweils als förderwürdig angesehene Spezifik festschreiben. So existiert beispielshalber zwar ein Literaturpreis „für deutschsprachige Autorinnen und Autoren nichtdeutscher Muttersprache“, was an sich sehr begrüßenswert erscheint. Eingereichte Texte müssen jedoch Migrationserfahrungen thematisieren, was das ganze Unterfangen in ein dubioses Licht setzt. Tatsächlich entspringt es in letzter Konsequenz auch einer diskriminierenden Wahrnehmungsverzerrung, wenn Kulturschaffenden aberkannt wird, Kunst jenseits von ethnisch gebundener oder migrantisch perspektivierter Produktion erschaffen zu können. Auf diese Weise werden Akteure zu innerbetrieblichen „Quotenmigranten“; wahre, auch ästhetische Diversität wird auf diese Weise jedenfalls nicht erreicht.

Damit ist ein überall wiedererkennbares Grundmuster von Förderverfahren angesprochen, das migrantische Kunst nur in einer ganz konkreten, den eigenen innerbetrieblichen Anliegen jeweils dienlichen Ausprägung als förderwürdig anerkennt, diese konkrete Ausprägung überproportional repräsentiert und trotzdem weiterhin vom regelhaften Betrieb abspaltet. Von Migrierten zu migrantischen Themen geschaffen, bleibt sie eben immer „migrantische Kunst“ – im besten Fall noch mundgerecht aufbereitet nach dem jeweils modischen Geschmack des deutschländischen Betriebs, ganz wie pseudoasiatisches Essen für den europäischen Gaumen.

Die immer wieder beschworene Erfahrung der Andersheit kann sich nicht einstellen, wenn etwa in den Fördermechanismen des Literaturbetriebs eine tatsächlich fremdartige und damit möglicherweise befremdliche Ästhetik hinter immergleichen Migrationserzählungen zurückstehen muss. 

Ebenso wie die Kunstprodukte in ihrer Qualität bleiben vielfach auch die migrierten Personen selbst in ihrer Qualifikation verkannt. Konzertmusiker müssen auf der Straße spielen, Künstlerinnen, in ihrem Herkunftsland von nationalem Rang, werden von hiesigen Galerien ignoriert, Schriftsteller fremder Sprache werden zu Tagelöhnern, weil sie schon an den bürokratischen Hürden der Antragstellung verzweifeln müssen. 

Kaum vorstellbar, welche kulturellen Humanressourcen in Deutschland aufgrund derartiger absurder Mechanismen verlorengehen. Dies gilt, wie Mark Terkessidis anhand einer Anekdote schildert, insbesondere auch für den Nachwuchs:

„Ein plastisches Beispiel kommt aus dem Kulturbereich. Als Mustafa Akca durch das Projekt ,Türkisch – Oper kann das‘ an die Komische Oper in Berlin kam, stellte er fest: Im Kinderchor der Oper singt kein einziges Kind mit türkischem Hintergrund. Angesichts der hohen Zahl von Bewohnern türkischer Herkunft in Berlin erschien das erstaunlich: Wie war es möglich, all die potentiellen Kandidaten fernzuhalten? Dies hatte natürlich mit den Netzwerken zu tun, aus denen Einrichtungen der Hochkultur gewöhnlich ihren Nachwuchs rekrutieren – bildungsbürgerliche Familien deutscher Herkunft, die eine Affinität zu diesen Orten mitbringen. Akca lancierte einen schlichten Aufruf in ,Metropol FM‘, Berlins größtem Sender in türkischer Sprache, und siehe da: Etwa 200 Familien meldeten sich und waren sehr interessiert daran, ihre Kinder in diesem Chor unterzubringen. Diese Aktion erweiterte das Netzwerk über die Änderung der Kommunikationskanäle.“

(Terkessidis 2017: 50)

Trotz solcher erfreulichen Beispiele, die leider Einzelbeispiele bleiben, darf man sich nicht auf zufällige Eigendynamiken des Betriebs verlassen, um diese versteckten personellen Ressourcen nutzen zu können. Auch migrantische Personen, die im Kulturbetrieb bereits involviert und arriviert sind, müssen nicht zwingend die besten Ansprechpartner für die Umsetzung von Diversitätsbestrebungen sein – sofern es denn überhaupt als ihre Aufgabe deklariert, honoriert und gewürdigt werden kann. Da die Knappheit der Mittel im Kulturbetrieb leider allenthalben Konkurrenzen, Animositäten und Seilschaften provoziert, können und müssen diese Personen im Einzelfall ganz eigene Interessen verfolgen. Auch individuelle ästhetische Präferenzen können sich hier hinderlich erweisen und konkurrierende künstlerische Programme ausschließen.

Außerdem erlangen auch migrierte Personen nicht schon qua Herkunft oder Fluchterfahrung eine Expertise für strukturelle Probleme des Betriebs und deren mögliche Überwindung. Hier sollten, wie unten auszuführen sein wird, kompetente und professionell mit diesen Problemen befasste Organisationen (wie das Integrationshaus e.V.) herangezogen werden. Kurzschlussreaktionen, wie sie etwa im Kontext von „kultureller Aneignung“ oft erfolgen, gehen nicht selten fehl. Bekannt sind beispielshalber Bestrebungen im Theater, die zwar einem antidiskriminatorischen Impetus folgen mögen, aber selbst zu neuen Diskriminierungen führen können. Wenn zum Beispiel Vertreterinnen oder Vertreter der Mehrheitsgesellschaft daran gehindert werden sollen, Minderheiten zu spielen, kann dies schnell dazu führen, dass Minderheiten eben auf die Darstellung von Minderheiten festgeschrieben werden – wogegen man lange Jahre anzukämpfen hatte.

Schon anhand dieser streiflichtartigen Einblicke dürfte deutlich werden, dass Maßnahmen zur Diversifizierung des Kulturbetriebs, die auf den ersten Blick naheliegend scheinen, auf Dauer wirkungslos bleiben und sich sogar nachteilig auswirken können. Im Umkehrschluss mögen die meiner Einschätzung nach angeratenen Vorgehensweisen zunächst kontraintuitiv klingen. Sie tragen aber auch der besonderen Dynamik der Kulturarbeit Rechnung. Die Diversifizierung im Kultursektor wird nämlich – ungeachtet seiner konstitutionellen Besonderheiten – allzuoft schablonenhaft mit den gleichen Methoden vorangetrieben, wie sie in ganz anderen Sektoren Anwendung finden – und in erster Linie auf Inhalte und auf personelle Identitäten abzielen.

Um hier korrektive Tendenzen anzuregen, werden im Folgenden einige Empfehlungen ausgesprochen, die einer „Demonotonisierung“ des Kulturbetriebs auf lange Sicht förderlich sein können. Weder handelt es sich hier um eine Checkliste, die Punkt für Punkt abgearbeitet werden müsste, noch um eine Handreichung für ausschließlich top down umzusetzende Weisungen und Verwaltungsakte. Vielmehr versammelt die folgende Aufzählung programmatische Denkanstöße, die sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit, sowohl von koordinierenden kulturpolitischen Stellen als auch von kleinen Kulturinstitutionen je nach verfügbaren Ressourcen in die eigene Praxis eingebracht werden können – ob bei der Mittelverteilung, der Kurationstätigkeit, der Veranstaltungsplanung, der Mitarbeitendenrekrutierung, der Ausschreibungspraxis, der Prämierung oder der Jurierung.

Dieser Artikel ist Teil unserer Publikation: “Vielheitsplan Kultur – rein praktisch!” Weitere Informationen finden Sie hier

von Alexander Estis

Vor mittlerweile gar nicht mehr so kurzer Zeit war ich ein kleines Kind aus Moskau, das in einem Hamburger Vorort mit deutschen Kasusendungen kämpfte und überhaupt versuchte, möglichst deutsch zu werden. (Zum Glück sind Kasusendungen dafür keine Voraussetzung, sonst hätte so mancher Patriot keine Nationalität mehr.)

Ich lernte aber auch, und das war dann doch eher meine russische Prägung, auf dem Akkordeon zu spielen. Und wissen Sie, wer mir, dem Jungen aus Moskau, die ersten russischen Volkslieder beibrachte? Ein älterer deutscher Herr, der sie in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft einstudiert hatte. Wenn er Katjuscha oder Kalinka oder Schwarze Augen spielte, überzog eine wahrhaft sibirische Melancholie sein Gesicht. Und wenn er von der Zeit der Kriegsgefangenschaft erzählte, hätte man meinen können, das sei die schönste in seinem Leben gewesen, denn, so seine Worte, damals habe er wahre Kameradschaft gefunden – und die Musik.

Kunst kann in und aus größter Not entstehen, auch im Krieg, das wissen wir alle. Aber niemals kann wirkliche Kunst für den Krieg entstehen, für Spaltung, für Menschenfeindlichkeit. Das ist banal und pathetisch, aber es ist wahr.

Echte Bildung zur Kunst ist immer auch Bildung zu Frieden und Freiheit. Dazu muss die Kunst jedoch von sämtlichen Zweckbestimmungen frei bleiben – nicht zuletzt auch von diesem Bildungszweck selbst. Andernfalls verkommt sie zur plumpen Didaxe, degradiert zu einer mehr oder minder künstlerisch verbrämten Moralunterweisung. Nicht nur keine kulturelle Bildung ist eine Gefahr, sondern auch eine zu kurz gedachte kulturelle Bildung: Eine solche, die Kultur und Kunst an pädagogische Zwecke bindet und damit verhindert, dass Kunstwerke die spezifischen ästhetischen Erfahrungsweisen anstoßen.

Wenn ein Drama in der schulischen Interpretation immer nur eine klare moralische Botschaft vermittelt, die man fein säuberlich von der Tafel ins Heft abschreibt, um sich dann dem nächsten Objekt interpretativer Verwertung zuzuwenden, gleicht man einem Touristen, der das Pantheon mit seinem iPhone fotografiert und sogleich zum Jardin du Luxembourg weiterläuft. Denn die simplifizierte, mundgerechte Aufbereitung von kulturellen Häppchen leistet dem vorherrschenden Konsumismus Vorschub.

Kulturelle Bildung bedeutet aber eben auch die Auseinandersetzung mit dem Komplexen, dem Uneindeutigen, mit dem Schmerzvollen. Das ist in uns allen drin, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Also sollten wir uns dessen besser bewusst sein.

Ähnlich verhält es sich mit politischer Bildung durch Kunst. Partizipation an Kunst ist immer auch Partizipation am demokratischen Prozess. Man sagt uns daher: Kunst soll politisch sein. So weit, so gut. Nur: Was heißt „politisch“? Offenbar darf Kunst heute nur solange als politisch gelten, wie sie unmittelbar auf das tagespolitische Geschehen bezogen bleibt: Indem sie „hinterfragt“, „kommentiert“, besser noch „interveniert“, oder zumindest eine eindeutige „Message“ präsentiert. Andernfalls hat sie wenig Aussicht auf Förderung.

Das ist zu kurz gedacht. Warum sollte Kunst, die den Menschen in seinem Innersten ergreift, durchdringt, bewegt, die sein Dasein in den Grundfesten erschüttert, ihm den Schleier seiner üblichen Weltsicht von den Augen reißt und ihm mit dem ganz anderen konfrontiert – warum sollte diese Kunst nicht politisch sein?

Die Vorstellung, Kunst müsse sich als solche ständig tagespolitisch engagieren, erzeugt eine Kunstform, die den Menschen nicht auf lange Sicht bildet, sondern ihn bestenfalls in kurzzeitigen Aufruhr versetzt, in einen konformistischen Trubel, dem tiefere Orientierung fehlt. Künstlerische Arbeit wird so letztlich identisch mit politischem Aktivismus und journalistischer Leitartikelproduktion.

Richtet sich Kunst in solchem Maße an kunstfremden Kriterien aus, gibt sie ihr Innerstes preis. Sie verzichtet damit auf ihr eigengesetzliches und apriorisches Existenzrecht und verliert ihre ureigene formale Widerständigkeit, sodass sie in letzter Konsequenz von politischen Agenden vereinnahmt werden kann. So wird vermeintlich politische Kunst zu einer reinen Stichwortempfängerin der Politik. 

Es gilt daher, die besondere Eigenart der künstlerischen Welt- und Selbsterfahrung zu schützen. Kunst braucht – wie jedes andere humane Gut – nicht nur Frieden, sondern mit ihm auch Freiheit, Freiheit von ausnahmslos allen Vereinnahmungen, Indoktrinationen und Zweckansprüchen. Nur dann kann sie das leisten, was nur sie leisten kann.

In zunehmendem Maße und gerade in Zeiten der Pandemie erleben wir jedoch, wie der ubiquitäre Utilitarismus seine garstigen Finger auch um den Hals der Kunst legt. Die Politik kolportiert das kurzsichtige Kriterium der Systemrelevanz: Kultur sei keinesfalls überlebenswichtig, heißt es da etwa, man könne das Theater durchaus eine Zeitlang entbehren. Gewiss, eine Schließung der Theater für einige Monate führt nicht zu einem Massensterben von notorischen Premieregängern. Und wir können nun hoffen, dass die Schließungen ohnehin der Vergangenheit angehören.

Es bleibt allerdings die Frage: Welche Konsequenzen, welche Lehren wollen wir aus alledem ziehen? Wollen wir die plumpe Kulturfeindlichkeit der Politik und ihre Rhetorik der Ignoranz unerwidert lassen?

Die Initiative „Kultur ins Grundgesetz“ ist eine wichtige und dringend notwendige Erwiderung auf diese kulturfeindlichen Tendenzen. Sie fordert ein, dass dem hohen verfassungsrechtlichen Rang der Kultur ebenso vorbehaltlos entsprochen wird, wie der Gesetzgeber dies vorsieht. Zusätzlich sollten Vielheitspläne Wege zu einer uneingeschränkten Teilhabe am und Kulturbetrieb un zu dessen Diversifizierung weisen.

Diese Programmatik hebt auf ein anderes Argumentationsniveau ab als viele andere Forderungen von Kulturtätigen. Oft arbeiten diese nämlich mit gutgemeinten Legitimierungsversuchen des Kulturbetriebs: So unterstreichen sie etwa, dass Kunst und Kultur wichtig sind, weil sie einen Bildungsauftrag erfüllen, Aufklärungsarbeit leisten, in schweren Zeiten erbaulich wirken, das Gemeinschaftsgefühl stärken und den gerade jetzt so vermissten persönlichen Austausch förderten – kurzum, dass sie relevant und systemrelevant seien. Das ist auf triviale Weise richtig, und es kann nur traurig stimmen, dass man diese Selbstverständlichkeiten überhaupt auszusprechen braucht. Zugleich bleiben diese Argumente nicht ganz unverfänglich.

Denn sie übernehmen ein Stückweit die pragmatistische Logik der sogenannten Entscheider, die außerhalb des Kulturbereichs stehen und denen die fundamentale Notwendigkeit von Kultur offenbar alles andere als evident ist. So verständlich dieses legitimatorische Vorgehen also auch sein mag, verkauft es Kunst weit unter Wert – indem es ein erratisches Wertesystem reproduziert.

Darin spiegelt sich nämlich die Tendenz wider, Kultur als Mittel zu einem vermeintlich übergeordneten, wichtigeren, bestenfalls „handfesten“ Zweck zu begreifen. Doch Kunst ist nicht für etwas anderes da, für Politik, Demokratie, Umwelt, Bildung oder Gesundheit – auch wenn sie auf all diesen Terrains Großes leisten kann. Nein: Kunst gehört zu den wenigen Aspekten unseres Lebens, die sich außerhalb von dessen Erfordernissen und Zwängen konstituieren, den Sinn also nicht aus diesen beziehen, sondern wirklichen Sinn überhaupt erst zu stiften vermögen. Wir brauchen Kunst nicht für etwas – sondern für uns. Jede andere Begründung ist nichts als ein Zugeständnis an horizontbeschränkte Zweckrationalitäten.

Die Existenz und Bedeutung von Kultur muss nicht begründet werden, sondern umgekehrt sollten kulturfeindliche Tendenzen in einer Kulturgesellschaft unter Rechtfertigungsdruck stehen: Wenn Kultur aus Sicht eines Systems nicht relevant ist, dann sollte man dringend nach der Relevanz dieses Systems aus Sicht der Kultur fragen.

In solchen Diskursen wird Kultur nämlich immer wieder als etwas von unserer übrigen Zivilisation Abtrennbares vorgestellt – als eine Art sekundäre Komponente. Kultur gewissermaßen als Autoradio: Nett, wenn man es hat, aber das Auto fährt auch ohne. Die Tragweite dieses Selbstbetrugs kann man kaum überschätzen. Denn alle Sphären des geistigen und überhaupt gesellschaftlichen Lebens sind eng verwoben. Die Relativierung kultureller Werte ist daher das nicht minder hässliche und ebenso bedrohliche Zwillingsmonster des grassierenden Antiszientismus: Beides, Wissenschafts- wie Kulturhass, entspringt einem im Kern zivilisationsfeindlichen, gegenaufklärerischen, menschenverachtenden Impetus. Was uns droht, wenn Kultur und Wissenschaft abgewertet werden, ist nichts Geringeres als eine perfekte Vertierung.

Um vermenschlichend zu wirken, muss die Kunst, wie ich nicht müde werde zu betonen, von allen Zwängen frei sein. Geistig unfreie Kunst verfolgt Zwecke, die ihr von außen aufgetragen werden. Sie wird Trägerin einer Ideologie, einer Religion, eines politischen Programms. Natürlich ist die Kunst seit Jahrtausenden darin geübt, auch dann zu größter Freiheit aufzusteigen, wenn sie vereinnahmt wird. Genau das zeigt ihr Vermögen, Freiheit zu schaffen und zur Freiheit zu bilden. An diesem Streben aus den vorgesetzten Grenzen hinaus wird deutlich, dass der Wille zur Freiheit für die Kunst wesentlich ist. Er ist sowohl ihre Bedingung als auch ihr Resultat.

Menschen verfolgen sehr unterschiedliche Ziele – und meist ihre ganz eigenen Interessen. Daher sind die Logiken der Zwecke eher trennend und nur partikulär verbindend. Sie führen dazu, dass wir andere Menschen als Mittel oder sogar Hindernisse wahrnehmen und sie danach einteilen, ob sie unseren Zwecken entsprechen oder nicht. Wie man sagt: Ein Hammer sieht überall Nägel. In der Befreiung vom Zwang der Zwecke liegt nicht nur eine große Entlastung unseres Denkens und Fühlens, sondern auch die Chance zur Gemeinschaft. Außer der Kunst gibt es für den Menschen nicht viele Bereiche, in denen er kein Nagel sein muss. 

Wir wissen, dass unsere Zwecke unterschiedlich sind, dass wir unterschiedliche Prioritäten setzen, unterschiedliche Weltbilder haben, dass wir uns also in vielen Dingen nie einig werden können. Das ist gerade in der Pandemie besonders deutlich geworden – sie hat selbst zwischen Freunden tiefe Gräben gezogen. Dies zu akzeptieren, fällt schwer. Doch Humanität bedeutet, den Menschen frei von Zwecken zu sehen. Und gerade diese durch und durch humane Befreiung von Zwecken gehört, wie gesagt, zum Wesen der Kunst.

Ich erinnere mich wieder an die Erzählungen meines Akkordeonlehrers: Erst die völlig „zwecklose“ Musik gab den Soldaten die Freiheit zurück, einander als das zu sehen, was sie waren. (Und selbst die unüberbrückbare Entfernung zwischen der wehmütigen sibirischen Seele und dem spröden ostfriesischen Gemüt mag in diesem Moment wenn nicht verschwunden, so doch geschrumpft sein.)

Indem Menschen für freie Kunst empfänglich werden, befreien sie sich selbst von der Diktatur der Zwecke und öffnen sich für die Grunderfahrung des Menschseins, die uns alle eint. Selbst wenn die Formen, die Rezeptionsweisen und auch die Partizipationschancen sehr unterschiedlich sein können, ist diese Grunderfahrung letztlich doch universal, unabhängig von Nation, Geschlecht, Stellung und Klasse.

Wenn also Kunst das leisten soll, was nur sie leisten kann, muss sie aus der Freiheit kommen und in die Freiheit führen.

Dieser Artikel ist Teil unserer Publikation: “Vielheitsplan Kultur – rein praktisch!” Weitere Informationen finden Sie hier

„Selten fühlen sich weiße Menschen so angegriffen, missverstanden und allein wie dann, wenn man sie oder ihre Handlungen ‚rassistisch‘ nennt. Das Wort wirkt wie eine Gießkanne voller Scham, ausgekippt über die Benannten. Weil die Scham so groß ist, geht es im Anschluss selten um den Rassismus an sich, sondern darum, dass ich jemandem Rassismus unterstelle“

Unsere Erfahrungen

Institutionen sind gläsern von außen, aber aus Beton von innen: Wie lange es dauerte, bis wir wussten, wer was macht

Wenn eine kleine Organisation mit einer großen Organisation eine Kooperation eingeht, wird diese oft in Form von Projekten ausgeführt. So wird beiden Organisationen nicht ersichtlich, wer welche Rolle in der Organisation spielt, wer was entscheiden kann, wer für welchen Bereich die Ansprechperson ist. Auf diese Weise werden zwar Projekte umgesetzt, aber auch wenn die Kooperationsorganisationen divers sind, ist die Wirkung auf die dauerhaften Gesamtstrukturen der Einrichtungen eher geringfügig. Das liegt vor allem auch an der mangelnden Zeit oder auch dem fehlenden Willen, sich für bestimmte Prozesse mehr Zeit zu nehmen.

  • Ressourcen: Wer hat wann Zeit, das alles zu lesen und die Informationen einzuholen?

Die Mitarbeiter:innen kultureller Institutionen sind durch den Regelbetrieb stark eingebunden; sie haben nur geringe zeitliche und geistige Kapazitäten für zusätzliche Projekte – und erst recht für strukturelle Veränderungen. Außerdem sind die Verantwortlichkeiten nicht immer klar geregelt oder werden nicht eindeutig kommuniziert. Auch wenn der Wille seitens der Mitarbeitenden einer Institution vorhanden ist, so sind die Ressourcen beschränkt.

  • Diversität passt nicht in eine Teilnahmeliste und nicht in eine Projektplanung: Vom Spaß und von der Anstrengung, immer flexibel zu sein

Diversität wird bei kulturellen Projekten oft als eine Art „Zutat“ gedacht, die anhand von Teilnahmelisten oder einzelnen Schritten im Projektplan abgearbeitet werden könnte. Die Verwirklichung von Vielfalt erfordert jedoch Flexibilität abseits von starren Abläufen. Diversität darf nicht als ein Element des Projekts gedacht werden, sondern als dessen substantieller Aspekt. Das erfordert eine Lust am Experiment, die nur von innen motiviert sein und von den Mitarbeitenden der Institutionen ausgehen kann, wenn sie mehr als eine Zutat von außen sein soll.

  • Diversität ist divers: Vom Lösungsdrang und dem Hang zu Checklisten

Oft beherrscht ein Wille, „das Diversitätsproblem zu lösen“ – mithilfe einzelner Gedanken, Pläne und Ideen. Für die Lösung werden Checklisten herangezogen und abgehakt. Selbstverständlich können Checklisten in praktischen Fragen hilfreiche Erinnerungsstützen sein. Diversität kann jedoch nicht als eine Herausforderung angesehen werden, die mittels einer Checkliste gelöst werden könnte.

  • Wir sind für’s Foto da: Vom Tokenism als Instrument für mehr

Es ist eine Gratwanderung, die oft zu Verunsicherung bei den jeweiligen Kulturinstitutionen führt: Wie macht man einerseits Diversität sichtbar, ohne andererseits dem „Tokenism“ zu verfallen und Personen für die Darstellung der eigenen Vorbildlichkeit in Sachen Diversität zu vereinnahmen? Hier ist ein offener Umgang wichtig und die Ermöglichung von Selbstbestimmung der Beteiligten zentral.

  • Geld ist (nie) das Problem: Vom Fordern und Fördern

Oft scheinen im Rahmen kultureller Projekte die besten Ideen vorrangig an der Mittelbeschaffung zu scheitern. Manchmal können fehlende Mittel aber auch als Vorwand dienen, um strukturelle Probleme nicht angehen zu müssen. Andererseits kann auch eine solide Förderung nutzlos sein, wenn keine wirkliche Teilhabe ermöglicht wird, sondern bei Entscheidungen und bei der Mittelverteilung die üblichen Vorgehensweisen beibehalten werden. Deshalb sollte man sich in Fragen der Mittelbeschaffung am Leitsatz orientieren „Wo ein Wille, da auch ein Weg.“ Einerseits sollten die Beteiligten eine umfassende Beratung über die möglichen Förderwege erhalten, andererseits lassen sich viele Projekte auch mit kleinem Budget durchführen. Wesentlich bleibt aber die monetäre Anerkennung aller Beteiligten und die gerechte Verteilung der Mittel.

Unsere Folgerungen und Forderungen

  • Soziale Gerechtigkeit ermöglichen: Eine faire und gerechte Gesellschaft schaffen wir nicht mit Projekten. Das ist unmöglich – und dazu sind Projekte auch gar nicht gedacht. Deswegen fordern wir, dass die Gesellschaft und der Staat die Verantwortung übernehmen. Die Beschränkungen jener Tätigkeiten und Aktivitäten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, können nicht durch einjährige Projekte nachhaltig aufgehoben werden. Wir erleben eine Verschärfung sozialer Ungleichheiten, wir beobachten eine Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Die Ausgrenzung sozialer Gruppen und Milieus vom Zugang zu materiellen und immateriellen Gütern ist real. Hier ist die Gesellschaft als ganze, insbesondere aber der Staatsapparat gefragt, sowohl sich selbst zu wandeln als auch gesamtgesellschaftlichen Wandel anzustoßen.
  • Strukturellen Wandel von innen her anstoßen: Kulturelle Institutionen müssen ein Eigeninteresse und deren Mitarbeitende eine innere Motivation entwickeln, Diversität und Teilhabe zu ermöglichen. Nur so können – zumindest solange die Politik nicht hinreichend aktiv ist – entsprechende Organisationen überhaupt angemessen in die Kulturarbeit einbezogen werden.
  • Investieren, um nicht zu verlieren: Wir müssen sparen. Aber soziale Unterstützungssysteme und Infrastruktureinrichtungen sind die falschen Bereiche zum Sparen. Wenn staatliche Institutionen sich aus ihrer Verantwortung zurückziehen, schaffen sie nur neue Probleme und gefährden das geistige und physische Wohl von Bürger_innen. Kultur als wichtiger Bestandteil des psychischen Wohlergehens, aber auch als partizipativer Akt muss im Rahmen sozialer und infrastruktureller Finanzierungserwägungen immer mit berücksichtig werden. Schließlich gilt, wenn es um Finanzen geht: Eine Investition in die Zukunft kostet Geld, aber keine Investition in die Zukunft kostet noch mehr.
  • Recht auf kulturelle Teilhabe im Grundgesetz verankern: Aus den oben genannten Gründen ist das Recht auf kulturelle Teilhabe für Menschen aller sozialen Klassen, jeder Herkunft, mit jedem Bildungsgrad und jeglichem Aufenthaltsstatus zu gewährleisten. Die Umsetzung von Vielheit kann außerdem nicht dauerhaft gelingen, wenn Kulturarbeit nicht aus der ständigen Sorge um angemessene Finanzierung gelöst wird. Beide Ziele, gesamtgesellschaftliche Teilhabe wie finanzielle Stabilität, können nur durch ein klares Bekenntnis zur Kultur als Staatsräson erreicht werden. Wir fordern daher im Anschluss an die Initiative „Kultur ins Grundgesetz“ eine entsprechende Anpassung des Grundgesetzes.
  • Haltung zeigen: Auch den Spagat zwischen leeren Worten auf Papier und den harten Lebensrealitäten vor Ort schaffen wir als kleine Organisationen nicht mehr (lange). Verlust von Integrität führt zur Zerstörung von sozialen Beziehungen und von Sinnhaftigkeit, zu Abwertung und Diskriminierung marginalisierter Gruppen und Personen. Grundwerte, die uns ermöglichen, in Diversität miteinander zu leben, Ressourcen zu teilen, uns gegenseitig Lebensrechte und Lebenschancen einzugestehen, sind in der Auflösung begriffen; das Grundgesetz gerät vielfach in Vergessenheit. Daher fordern wir eine klare Haltung der Verantwortlichen in Legislative, Judikative und Exekutive, also im Parlament, im Gericht und in der Verwaltung:  Was für eine Gesellschaft wünschen Sie sich?

Wir selbst möchten nach Kräften dazu beitragen, diese Ziele umzusetzen – ob in beratender Funktion, ob durch gemeinsame Projekte mit Kulturinstitutionen, ob als Räume, die Reflexion und Empowerment ermöglichen. Denn unser wichtigster Anspruch ist: Wir wollen Power Spaces sein. Und das bedeutet, Räume zu bieten, in denen 

  • die Identität jedweder Person respektiert und nicht in Frage gestellt wird,
  • Diskriminierungserfahrungen besprochen werden können,
  • Wissen über Diskriminierung erlangt werden kann,
  • Menschen Unterstützung und Möglichkeiten bekommen, einen eigenen Umgang mit Diskriminierung zu finden,
  • Menschen Anerkennung erfahren und sich der eigenen Fähigkeiten bewusst werden,
  • Menschen einen eigenen, kreativen Ausdruck für ihre Erfahrungen finden können,
  • Menschen sich vernetzen können,
  • marginalisierte Perspektiven sichtbar gemacht werden,
  • Solidarität erlebbar gemacht wird.

Unser neuester Raum, der diesen Aufgaben dient, ist der Demokratie-Space in Köln-Kalk. Er kann auch zu einem Raum für kulturellen Austausch werden – unter unserem Motto:

Für eine Demokratisierung des Abendlandes!

Initiative Kultur ins Grundgesetz

Die Freiheit der Kunst wird unter Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt und stellt damit ein Grundrecht dar. Doch Kunst und Kultur können nur frei sein und ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen, wenn ihnen die dafür notwendige Achtung und Akzeptanz auf bundespolitischer Ebene entgegengebracht wird. Bislang wird die Kulturförderung in weiten Teilen als freiwillige Aufgabe der Länder und Kommunen betrachtet. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur als ein kollektives gesellschaftliches Interesse grundrechtlich geschützt werden muss. Dies beinhaltet nicht nur den Schutz unseres kulturellen Erbes, sondern auch die Förderung der kulturellen Landschaft in ihrer ganzen Vielfalt.

Kunst und Kultur existieren nicht um ihrer selbst willen, sondern brauchen und suchen den Dialog mit der Bevölkerung, dem Publikum. Jeder Mensch – ungeachtet seiner Lebenssituation oder seiner finanziellen Bedingungen – hat einen Anspruch auf kulturelle Teilhabe. Und obwohl dieses Menschenrecht in der UN-Charta verbrieft ist – zu deren Unterzeichnern die Bundesrepublik Deutschland gehört – sind wir von der Schaffung der dafür notwendigen Chancengleichheit noch sehr weit entfernt.

Von der darstellenden Kunst über Musik, Literatur, bildende und performative Kunst, Film- und Medienkunst bis hin zur Soziokultur produzieren alle Kunstformen mehr als bloßes Vergnügen. Kultur leistet seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte in all ihren Ausprägungen einen elementaren Beitrag zur gesellschaftspolitischen Bildung. Sie vermag Gemeinsinn zu stiften und einen Zusammenhalt zu erzeugen. Sie verbindet Menschen, unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder ihrer ethnischen und sozialen Herkunft, und trägt damit wesentlich zum Erhalt sowie zur Entwicklung unserer pluralistischen Gesellschaft bei. Sie liefert vielfältige Impulse und Denkanstöße zur Willens- und Persönlichkeitsbildung, sie transportiert Wissen und sie fungiert gleichermaßen als Bewahrerin ideeller Güter wie auch als visionäre Gestalterin.

All dies leistet Kultur mit einem Verständnis, das aus ihr selbst erwächst. Ihr Wert lässt sich durch nichts ersetzen und sie ist zweifellos ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Sie verdient daher einen langfristigen und nachhaltigen Schutz. Gleiches gilt für den uneingeschränkten Zugang der Bevölkerung zu Kunst und Kultur.

Wir fordern daher:

  • Den Schutz von Kunst und Kultur als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern.
  • Das Recht auf unbeschränkte Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am kulturellen Leben und an kultureller Bildung als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern.
  • Langfristige stabile Sicherungsinstrumente für Kunst- und Kulturschaffende zu etablieren sowie ein auf sie zugeschnittenes gesetzliches Regelwerk zu schaffen, das sie vor unverschuldeten Verdienstausfällen schützt.

Die Arbeit aller Kunst- und Kulturschaffenden ist als eine gesellschaftliche zu sehen und darf nicht mit wirtschaftlichen Maßstäben gemessen werden. Letzteres verhindert, dass jeder Mensch, egal welchen sozialen Standes, Zugang zu Kunst und Kultur erhält und dass die vermeintliche Freiheit der Kunst und Kultur keine wirtschaftlich abhängige bleibt. Kultur ist Bildung und muss deshalb Obliegenheit des Staates und aller gesellschaftlichen Kräfte sein.

Kathrin Schülein | Leiterin des Theaters Adlershof | Initiatorin von „Kultur ins Grundgesetz“ (www.kulturinsgrundgesetz.de)

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Begriffe Und Begrifflichkeiten

Unlocked sound of unlocking threads: Salman Abdo, Fadi Elias
Agierende Hände / Performing hands: Peju Layiwola

Die gezeigten audiovisuellen Bilder der Benin-Bronzen sind eine sinnliche Erfahrung mit der inneren Gefühlswelt der Schätze.
Die Idee begann mit einer abstrakten Aufnahme von Prof. Peju Layiwola während sie die nummerierten Etiketten von den Schätzen löste, um den Benin-Bronzen metaphorisch Freiheit zu schenken. Alle gefilmten Schätze befinden sich normalerweise in Glasvitrinen, in denen die Besucher sie nur aus der Distanz betrachten können. Aber wie fühlt es sich an, diese zu berühren, und wie klingt das?


Die Idee wurde klarer, als Peju Layiwola mit einer der Glocken aus den Benin-Bronzen hantierte. Während sie die Glocke bewegte, entsprang ein Ton aus ihr, den man nicht hören kann, wenn man die Glocke nicht berührt.


Mit dieser Filminstallation wollten wir das Museumserlebnis erweitern, indem wir Schätze und andere Elemente nicht nur aus der Ferne in geschützten Glasvitrinen betrachten, sondern auch hörbar machen, was für Geräusche es macht, wenn man das Werk berührt – eine neue Form des Geschichtenerzählens. Es ist die Chance, das Erfahrung von Textur und Material über Ton und Video zu vermitteln.

Mehr Infos über die Ausstellung: https://rjm-imissyou.de/

Pauschal gesagt ist die Welt ein sicherer Ort für weiße Menschen und deswegen braucht es die Etablierung von geschützte(re)n Räumen (Safer Spaces), in denen weiße Menschen nicht selbstverständlich über den Raum verfügen können. Manchmal ist allein die Anwesenheit verletzend, und das gilt es zu akzeptieren, anstatt infrage zu stellen. Personen, die Rassismus erleben, möchten nicht selbstverständlich als „Lexikon“ über Rassismus angesprochen werden. 

von Dr. Mark Terkessidis

Die Vereine, Einrichtungen und Projekte von und für Personen mit Migrationshintergrund oder BPOC waren und sind eine hybride Angelegenheit. Sie pendeln zwischen Selbsthilfe, zivilgesellschaftlichem Engagement und der freien Trägerschaft von im weitesten Sinne sozialarbeiterischen Tätigkeiten (Jugendhilfe, Beratung, Integrationsangebote etc.). In ihren Aktivitäten sind diese Organisationen unentwegt konfrontiert mit gänzlich anderen Einrichtungen, deutlich größeren Organisationen eines bürokratischen Typs wie vor allem Behörden, aber auch Bildungs- und Kultureinrichtungen. Diese größeren Organisationen sind gewöhnlich Teil des Staates oder staatlich finanziert. Die Zusammenarbeit sorgt für eine erhebliche Reibungsfläche, die sich aus der Unterschiedlichkeit der Einrichtungen und auch aus dem gewöhnlich auftretenden Machtgefälle ergibt. Die Frage ist, wie diese Reibungsfläche zu verringern wäre in einer demokratischen Gesellschaft, in der ja alle Organisationen für die Durchsetzung von rechts- und sozialstaatlichen Prinzipien stehen sollen.

Eigentlich müssten die genannten Akteure an einem Strang ziehen. Dem Selbstverständnis nach engagieren sich etwa die 130 Einrichtungen unter dem Dach des Netzwerkes der „Neuen Deutschen Organisationen“ für „mehr Sichtbarkeit, Teilhabe und Chancengerechtigkeit“. Hier werden also die rechtsstaatlichen Gleichheits- und Gleichbehandlungsgebote eingefordert, für deren Gewährleistung die Behörden oder Bildungs- und Kultureinrichtungen per se zuständig sind. In der Realität allerdings erweist sich der institutionelle Bereich teilweise als problematisch: In den letzten Jahren wurde medienwirksam diskutiert, dass Menschen mit Migrationshintergrund oder BPoC in Ämtern, Theatern oder Schulen teilweise institutionell, teilweise individuell diskriminiert werden. Daher wären die „neuen“ Organisationen ein wichtiges Korrektiv. Doch sie können in ihrem Einsatz gegen Diskriminierung zurzeit kaum effektiv sein. Sie fungieren gewöhnlich als Auftragnehmer:innen zumal der Ämter und werden angesichts der Geldzuwendungen von diesen als Einrichtungen betrachtet, die für die speziellen Bedürfnisse der sogenannten Zielgruppe zuständig sind und eben nicht für „Chancengerechtigkeit“ im Allgemeinen. 

Diese Sichtweise verhindert, dass die Selbstorganisationen ihre eigentliche Rolle erfüllen können. Das Subsidiaritätsprinzip besagt, dass der Staat die Selbsthilfe seiner Bürger:innen wertschätzen und unterstützen soll – ohne selbst beeinflussend oder konkurrierend einzugreifen. In den letzten Jahrzehnten ist dieses Prinzip aber systematisch ausgehöhlt worden: Die freien Träger:innen – seien es die großen wie Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische als Dachorganisationen oder die Myriaden von kleinen Organisationen – sind immer mehr zu Dienstleistern für die staatlichen Stellen geworden, die zudem miteinander im Wettbewerb stehen. Über die Tätigkeiten wird eine starke Kontrolle ausgeübt – durch ausufernde Abrechnungs- und Berichtsmodalitäten, Wirkungsmessungen oder fremdgesteuerte Evaluationen. Der Mangel an Unabhängigkeit macht es sehr schwierig für die stark wertorientierten, „neuen“ Organisationen, ihre Werte tatsächlich zu leben und im Hinblick auf Diskriminierung als Korrektiv für die staatlichen Institutionen zu wirken. Der partnerschaftliche Aspekt der Subsidiarität und die Vertiefung und Weiterentwicklung der demokratischen Rechte sind blockiert.

In der konkreten Zusammenarbeit stehen sich darüber hinaus zwei Organisationslogiken gegenüber, die die US-Psychologen Daniel Katz und Robert Kahn in ihrer klassischen Social Psychology of Organizations als „expressiv“ und „instrumentell“ bezeichnet haben. In den expressiven Aktivitäten, die sich maßgeblich in den „neuen“ Organisationen finden, beziehen die Mitarbeitenden die Belohnung für ihre Arbeit weniger aus der (ohnehin zumeist schlechten) Bezahlung, sondern vielmehr durch die Tätigkeit selbst, in der sich die Werte ihrer Organisation und die eigenen Werte verkörpern. Obwohl die Arbeit zeitlich ausufernd und oft auch psychisch belastend ist, bleiben die Personen hochgradig motiviert, weil sie Menschen in schwierigen Lebensumständen helfen und zugleich auch für deren bessere Repräsentation sorgen. Gleichzeitig werden die Einrichtungen der „Selbsthilfe“ selbst zu „anderen“ Orten, zu Willkommensräumen, in denen die demokratischen Rechte durch Austausch, Vernetzung oder Unterstützung der individuellen Entfaltung konkret gelebt werden. 

Die Behörden, Bildungs- und Kultureinrichtungen (wobei die Letztgenannten ja abgesehen vom künstlerischen Bereich in der Kultur ebenfalls behördlich organisiert sind) werden dagegen überwiegend von instrumentellen Motiven gesteuert. Zweifellos gibt es auch hier idealistische Personen, die an Veränderung mitwirken, doch mehrheitlich werden die Leistungen bestimmt durch den Wunsch nach Jobsicherheit, geregelten Arbeitszeiten und Einkommen. Die Tätigkeiten zielen entsprechend auf die Befolgung von Regeln und die Herstellung von Berechenbarkeit. Die „Klienten“ spielen per se nicht die wichtigste Rolle, denn deren Sanktionierungsmacht ist gering. Höchste Relevanz hat die Vermeidung von Fehlern, denn solche Fehler können interne Sanktionen nach sich ziehen, zumal was die Position innerhalb der Behörde betrifft. In diesem Sinne ist auch klar, dass Innovation in diesen Strukturen schwer zu gestalten ist. 

Die instrumentelle, primär nach innen gerichtete Orientierung vieler Mitarbeitender in Behörden, Bildungs- und Kulturinstitutionen bringt es quasi von selbst mit sich, dass der Personenkreis, der von „neuen“ Organisationen vertreten wird, hauptsächlich als Objekt angesehen wird, als Objekt von Maßnahmen zur „Integration“. Die deutschen staatlichen oder staatsnahen Einrichtungen arbeiten seit jeher mit äußerst normativen Vorstellungen: Es gibt eine starke Idee von der „normalen“ Klientel, die die richtigen Voraussetzungen mitbringt, das richtige Benehmen, das nötige Vorwissen, die korrekten Unterstützungsmöglichkeiten, die adäquate Kunstvorstellung – alle anderen erscheinen als Abweichungen, die einer Sonderbehandlung bedürfen und somit zum Gegenstand aller möglichen Maßnahmen werden. Der Bias zugunsten des akademischen Mittelstandes deutscher Herkunft ist überall spürbar. 

Um auf die eingangs formulierte Frage zurückzukommen: Wie wäre die Reibungsfläche zu verringern? Tatsächlich erscheint das nicht leicht, weil es kaum Problemeinsicht gibt. Für die „neuen“ Organisationen ist zwar klar, dass sie unter Abhängigkeit, Wettbewerbsdruck, Ressourcenknappheit, Zeitnot und einem Mangel an Struktur leiden, aber das Problem wird selten auf der politischen Ebene angegangen. Tatsächlich ist es schwierig, zusammen mit anderen Wettbewerbern wie etwa den Wohlfahrtsverbänden eine politische Front aufzubauen, da in Sachen Fördergelder sozusagen niemand die Hand beißen möchte, die einen füttert. Über das Problem auf politischer Ebene zu sprechen, bliebe allerding primäres Ziel. Das Subsidiaritätsprinzip braucht eine Neudefinition – die Organisationen der Selbsthilfe sollten mehr Unabhängigkeit haben und der Kontakt mit den Behörden sollte partnerschaftlich gestaltet werden. 

Eine solche Neudefinition würde die Grundlage für eine Veränderung der Haltung in den behördlichen Strukturen bilden. Die derzeitige Sichtweise, die Personen mit Migrationshintergrund und BPoC (zumal wenn sie formal Ausländer:innen sind) häufig zu Objekten macht, kollidiert ja immer öfter mit der Wirklichkeit. Die verzerrte Wahrnehmung verursacht Störungen in den Arbeitsabläufen sowie Diskriminierung. Die Kollaboration mit den „neuen“ Organisationen würde ein besseres Wissen über die Bevölkerung und die unterschiedlichen Voraussetzungen, Hintergründe und Referenzrahmen der Individuen ermöglichen und damit auch quasi technisch ein besseres Arbeiten bedeuten. Es wäre also ganz im Eigeninteresse der Institutionen, sich auf die Zukunft hin neu auszurichten. Und wenn wir eins über die bald maßgebliche Generation der sogenannten Millenials wissen, dann Folgendes: Sie haben wenig Bereitschaft, sich in sinnlosen Arbeitsroutinen aufzureiben, und sie verachten Diskriminierung. 

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Rassismus als wirkmächtiges Merkmal unserer Gesellschaft 

Rassismus ist ein unsere Gesellschaften strukturierendes Merkmal. Die Ausprägungen auf struktureller, institutioneller und individueller Ebene betreffen alle Mitglieder unserer Gesellschaft.

Rassismus ist funktional – er nutzt den Einen und schadet den Anderen. Hierfür werden die Anderen abgewertet, benachteiligt und ausgegrenzt. So wurde im Kontext des Kolonialismus die ‚Rasse‘-Konstruktion eingeführt, um die Schwarze Bevölkerung als primitiv und unzivilisiert darstellen zu können, sie abzuwerten, mit dem Ziel, ihre Ausbeutung zu rechtfertigen. Bezogen auf aktuelle Verhältnisse differenziert Birgit Rommelspacher (Rommelspacher, 2009: S. 30ff.) zwischen strukturellem, institutionellem und individuellem Rassismus. Während der strukturelle Rassismus im gesellschaftlichen System, in seinen Rechtsvorstellungen und politischen sowie ökonomischen Strukturen Benachteiligungen und Ausgrenzungen bewirkt, bezieht sich der institutionelle Rassismus auf Organisationen mit ihren Strukturen, Handlungsroutinen und Wertevorstellungen. Auf persönlichen Handlungen und Einstellungsmustern beruht der individuelle Rassismus, der sich in der direkten persönlichen Interaktion offenbart (Müller, 2019: S. 35). 

Wie wir alle von Rassismus betroffen sind, 

  • beeinflusst unsere Perspektive auf ihn, 
  • wie wir mit ihm umgehen, 
  • sowie welche Möglichkeiten, 
  • aber auch Grenzen und Schwierigkeiten damit verbunden sind. 

In einer durch Rassismus gekennzeichneten Gesellschaft sind es weiß positionierte Menschen, die von Rassismus bewusst oder unbewusst profitieren.

Aber: Nicht Individuen sind das Problem, sondern die gesellschaftlichen Strukturen, die Privilegien für weiße Menschen mit sich bringen:

„Rassismus lenkt unsere Wahrnehmung, unsere Deutung und unsere Verarbeitung von sozialen Informationen. Rassismus als System besteht aus alltäglichen Wahrnehmungshilfen, genauer: aus Wahrnehmungsfiltern. Diese Filter bestimmen, wie wir soziale Gehalte einschätzen oder Situationen bewerten, wie wir auf zwischenmenschlicher Ebene agieren oder welche kollektiven Bezugnahmen für uns von Bedeutung sind. Rassismus beeinflusst und strukturiert diese Filter, denn er beruht auf sozial erlerntem und immer wieder neu hergestelltem Wissen über gesellschaftliche Gruppen und deren Angehörige. Ob diese Gruppen tatsächlich existieren, ist nicht relevant. Es geht vielmehr darum, sie eindeutig voneinander unterscheidbar zu machen, das heißt eine Differenz zu etablieren und aufrechtzuerhalten“  

(Auma, 2018: S. 2)

Räume für alle von allen? 

Professionelle Haltungen in der Arbeit vor Ort entstehen allerdings nicht im luftleeren Raum, sondern im gesellschaftlichen und institutionellen Kontext. Gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen haben dabei einen großen Einfluss. Auf der einen Seite werden Angebote zur Teilhabe und Inklusion gefordert und gefördert. Auf der anderen Seite sollen diese nicht allen zur Verfügung stehen. Bspw. sind Menschen, die mit einer Duldung in Deutschland leben, von vielen Angeboten ausgeschlossen.

Eine barrierearme Angebotsstruktur zahlreicher Angebote, die tatsächlich für alle offen sind, würde bedeuten, dass Besucher:innen Räume finden, 

  • an denen sie sich nicht in Frage gestellt werden, 
  • wo sie Identifikationsmöglichkeiten finden, 
  • wo sie mitmachen können, wo ihre Meinung, 
  • ihre Kompetenzen und Ressourcen wahrgenommen und geschätzt werden,
  • und wo sie Rat und Unterstützung bekommen. 

Oft müssen aber für alle offenen Angebote aus Eigenregie und Eigenmittel organisiert werden.  So stehen Engagierte immer vor dem Dilemma, dass die Praxis nicht in die Teilnahmeliste passen mag. 

Ein Weg mit diesem Dilemma umzugehen, ist die Schaffung von Räumen: Räumen, in denen eine sicherere und vertrauensvollere Atmosphäre kreiert wird. Und Räumen, in denen eine Reflexion über die eigene gesellschaftliche Position möglich ist. Solche Räume sind deswegen immer Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck. Bei der Schaffung verschiedener Räume bei einer Veranstaltung, Arbeitstreffen, Organisationstreffen etc. ist es wichtig, nach den getrennten Räumen, auch wieder zusammenzukommen, und sich nicht über die Inhalte in den jeweiligen Räumen auszutauschen, sondern eher damit, warum es wichtig war, solche Räume zu haben, welche Stärke daraus gezogen werden kann. Es geht nicht um Separation, sondern um die Gestaltung von diskriminierungsärmeren, rassismusfreieren, machtkritischeren und fehlerfreundlicheren Austauschräumen.

Gerade in den ehrenamtlichen Strukturen der jeweiligen Zentren existieren so etwas wie Safer Spaces, ohne dass diese explizit so benannt werden. Und es werden explizit Safer Spaces und Empowermenträume angeboten. Durch die Kooperationen mit verschiedenen Einrichtungen als auch durch die Veränderung der Teamzusammensetzungen werden verstärkt auch die Themen Critical Whiteness und Privilegien in den Zentren diskutiert. 

Schauen wir uns also an, was Safer Spaces und Reflexionsräume für weiß positionierte Menschen sein können. 

Dieser Artikel ist Teil unserer Publikation: “Handreichung: „Handlungsleitende Prinzipien. Safer Spaces für Schwarze Menschen, People of Colour und Indigenous People schaffen. Reflexionsräume für weiß positionierte Menschen initiieren” Weitere Informationen finden Sie hier