Die Baustelle.

Unsere Erfahrungen

Institutionen sind gläsern von außen, aber aus Beton von innen: Wie lange es dauerte, bis wir wussten, wer was macht

Wenn eine kleine Organisation mit einer großen Organisation eine Kooperation eingeht, wird diese oft in Form von Projekten ausgeführt. So wird beiden Organisationen nicht ersichtlich, wer welche Rolle in der Organisation spielt, wer was entscheiden kann, wer für welchen Bereich die Ansprechperson ist. Auf diese Weise werden zwar Projekte umgesetzt, aber auch wenn die Kooperationsorganisationen divers sind, ist die Wirkung auf die dauerhaften Gesamtstrukturen der Einrichtungen eher geringfügig. Das liegt vor allem auch an der mangelnden Zeit oder auch dem fehlenden Willen, sich für bestimmte Prozesse mehr Zeit zu nehmen.

  • Ressourcen: Wer hat wann Zeit, das alles zu lesen und die Informationen einzuholen?

Die Mitarbeiter:innen kultureller Institutionen sind durch den Regelbetrieb stark eingebunden; sie haben nur geringe zeitliche und geistige Kapazitäten für zusätzliche Projekte – und erst recht für strukturelle Veränderungen. Außerdem sind die Verantwortlichkeiten nicht immer klar geregelt oder werden nicht eindeutig kommuniziert. Auch wenn der Wille seitens der Mitarbeitenden einer Institution vorhanden ist, so sind die Ressourcen beschränkt.

  • Diversität passt nicht in eine Teilnahmeliste und nicht in eine Projektplanung: Vom Spaß und von der Anstrengung, immer flexibel zu sein

Diversität wird bei kulturellen Projekten oft als eine Art „Zutat“ gedacht, die anhand von Teilnahmelisten oder einzelnen Schritten im Projektplan abgearbeitet werden könnte. Die Verwirklichung von Vielfalt erfordert jedoch Flexibilität abseits von starren Abläufen. Diversität darf nicht als ein Element des Projekts gedacht werden, sondern als dessen substantieller Aspekt. Das erfordert eine Lust am Experiment, die nur von innen motiviert sein und von den Mitarbeitenden der Institutionen ausgehen kann, wenn sie mehr als eine Zutat von außen sein soll.

  • Diversität ist divers: Vom Lösungsdrang und dem Hang zu Checklisten

Oft beherrscht ein Wille, „das Diversitätsproblem zu lösen“ – mithilfe einzelner Gedanken, Pläne und Ideen. Für die Lösung werden Checklisten herangezogen und abgehakt. Selbstverständlich können Checklisten in praktischen Fragen hilfreiche Erinnerungsstützen sein. Diversität kann jedoch nicht als eine Herausforderung angesehen werden, die mittels einer Checkliste gelöst werden könnte.

  • Wir sind für’s Foto da: Vom Tokenism als Instrument für mehr

Es ist eine Gratwanderung, die oft zu Verunsicherung bei den jeweiligen Kulturinstitutionen führt: Wie macht man einerseits Diversität sichtbar, ohne andererseits dem „Tokenism“ zu verfallen und Personen für die Darstellung der eigenen Vorbildlichkeit in Sachen Diversität zu vereinnahmen? Hier ist ein offener Umgang wichtig und die Ermöglichung von Selbstbestimmung der Beteiligten zentral.

  • Geld ist (nie) das Problem: Vom Fordern und Fördern

Oft scheinen im Rahmen kultureller Projekte die besten Ideen vorrangig an der Mittelbeschaffung zu scheitern. Manchmal können fehlende Mittel aber auch als Vorwand dienen, um strukturelle Probleme nicht angehen zu müssen. Andererseits kann auch eine solide Förderung nutzlos sein, wenn keine wirkliche Teilhabe ermöglicht wird, sondern bei Entscheidungen und bei der Mittelverteilung die üblichen Vorgehensweisen beibehalten werden. Deshalb sollte man sich in Fragen der Mittelbeschaffung am Leitsatz orientieren „Wo ein Wille, da auch ein Weg.“ Einerseits sollten die Beteiligten eine umfassende Beratung über die möglichen Förderwege erhalten, andererseits lassen sich viele Projekte auch mit kleinem Budget durchführen. Wesentlich bleibt aber die monetäre Anerkennung aller Beteiligten und die gerechte Verteilung der Mittel.

Unsere Folgerungen und Forderungen

  • Soziale Gerechtigkeit ermöglichen: Eine faire und gerechte Gesellschaft schaffen wir nicht mit Projekten. Das ist unmöglich – und dazu sind Projekte auch gar nicht gedacht. Deswegen fordern wir, dass die Gesellschaft und der Staat die Verantwortung übernehmen. Die Beschränkungen jener Tätigkeiten und Aktivitäten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, können nicht durch einjährige Projekte nachhaltig aufgehoben werden. Wir erleben eine Verschärfung sozialer Ungleichheiten, wir beobachten eine Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Die Ausgrenzung sozialer Gruppen und Milieus vom Zugang zu materiellen und immateriellen Gütern ist real. Hier ist die Gesellschaft als ganze, insbesondere aber der Staatsapparat gefragt, sowohl sich selbst zu wandeln als auch gesamtgesellschaftlichen Wandel anzustoßen.
  • Strukturellen Wandel von innen her anstoßen: Kulturelle Institutionen müssen ein Eigeninteresse und deren Mitarbeitende eine innere Motivation entwickeln, Diversität und Teilhabe zu ermöglichen. Nur so können – zumindest solange die Politik nicht hinreichend aktiv ist – entsprechende Organisationen überhaupt angemessen in die Kulturarbeit einbezogen werden.
  • Investieren, um nicht zu verlieren: Wir müssen sparen. Aber soziale Unterstützungssysteme und Infrastruktureinrichtungen sind die falschen Bereiche zum Sparen. Wenn staatliche Institutionen sich aus ihrer Verantwortung zurückziehen, schaffen sie nur neue Probleme und gefährden das geistige und physische Wohl von Bürger_innen. Kultur als wichtiger Bestandteil des psychischen Wohlergehens, aber auch als partizipativer Akt muss im Rahmen sozialer und infrastruktureller Finanzierungserwägungen immer mit berücksichtig werden. Schließlich gilt, wenn es um Finanzen geht: Eine Investition in die Zukunft kostet Geld, aber keine Investition in die Zukunft kostet noch mehr.
  • Recht auf kulturelle Teilhabe im Grundgesetz verankern: Aus den oben genannten Gründen ist das Recht auf kulturelle Teilhabe für Menschen aller sozialen Klassen, jeder Herkunft, mit jedem Bildungsgrad und jeglichem Aufenthaltsstatus zu gewährleisten. Die Umsetzung von Vielheit kann außerdem nicht dauerhaft gelingen, wenn Kulturarbeit nicht aus der ständigen Sorge um angemessene Finanzierung gelöst wird. Beide Ziele, gesamtgesellschaftliche Teilhabe wie finanzielle Stabilität, können nur durch ein klares Bekenntnis zur Kultur als Staatsräson erreicht werden. Wir fordern daher im Anschluss an die Initiative „Kultur ins Grundgesetz“ eine entsprechende Anpassung des Grundgesetzes.
  • Haltung zeigen: Auch den Spagat zwischen leeren Worten auf Papier und den harten Lebensrealitäten vor Ort schaffen wir als kleine Organisationen nicht mehr (lange). Verlust von Integrität führt zur Zerstörung von sozialen Beziehungen und von Sinnhaftigkeit, zu Abwertung und Diskriminierung marginalisierter Gruppen und Personen. Grundwerte, die uns ermöglichen, in Diversität miteinander zu leben, Ressourcen zu teilen, uns gegenseitig Lebensrechte und Lebenschancen einzugestehen, sind in der Auflösung begriffen; das Grundgesetz gerät vielfach in Vergessenheit. Daher fordern wir eine klare Haltung der Verantwortlichen in Legislative, Judikative und Exekutive, also im Parlament, im Gericht und in der Verwaltung:  Was für eine Gesellschaft wünschen Sie sich?

Wir selbst möchten nach Kräften dazu beitragen, diese Ziele umzusetzen – ob in beratender Funktion, ob durch gemeinsame Projekte mit Kulturinstitutionen, ob als Räume, die Reflexion und Empowerment ermöglichen. Denn unser wichtigster Anspruch ist: Wir wollen Power Spaces sein. Und das bedeutet, Räume zu bieten, in denen 

  • die Identität jedweder Person respektiert und nicht in Frage gestellt wird,
  • Diskriminierungserfahrungen besprochen werden können,
  • Wissen über Diskriminierung erlangt werden kann,
  • Menschen Unterstützung und Möglichkeiten bekommen, einen eigenen Umgang mit Diskriminierung zu finden,
  • Menschen Anerkennung erfahren und sich der eigenen Fähigkeiten bewusst werden,
  • Menschen einen eigenen, kreativen Ausdruck für ihre Erfahrungen finden können,
  • Menschen sich vernetzen können,
  • marginalisierte Perspektiven sichtbar gemacht werden,
  • Solidarität erlebbar gemacht wird.

Unser neuester Raum, der diesen Aufgaben dient, ist der Demokratie-Space in Köln-Kalk. Er kann auch zu einem Raum für kulturellen Austausch werden – unter unserem Motto:

Für eine Demokratisierung des Abendlandes!

Initiative Kultur ins Grundgesetz

Die Freiheit der Kunst wird unter Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt und stellt damit ein Grundrecht dar. Doch Kunst und Kultur können nur frei sein und ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen, wenn ihnen die dafür notwendige Achtung und Akzeptanz auf bundespolitischer Ebene entgegengebracht wird. Bislang wird die Kulturförderung in weiten Teilen als freiwillige Aufgabe der Länder und Kommunen betrachtet. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass der Stellenwert von Kunst und Kultur als ein kollektives gesellschaftliches Interesse grundrechtlich geschützt werden muss. Dies beinhaltet nicht nur den Schutz unseres kulturellen Erbes, sondern auch die Förderung der kulturellen Landschaft in ihrer ganzen Vielfalt.

Kunst und Kultur existieren nicht um ihrer selbst willen, sondern brauchen und suchen den Dialog mit der Bevölkerung, dem Publikum. Jeder Mensch – ungeachtet seiner Lebenssituation oder seiner finanziellen Bedingungen – hat einen Anspruch auf kulturelle Teilhabe. Und obwohl dieses Menschenrecht in der UN-Charta verbrieft ist – zu deren Unterzeichnern die Bundesrepublik Deutschland gehört – sind wir von der Schaffung der dafür notwendigen Chancengleichheit noch sehr weit entfernt.

Von der darstellenden Kunst über Musik, Literatur, bildende und performative Kunst, Film- und Medienkunst bis hin zur Soziokultur produzieren alle Kunstformen mehr als bloßes Vergnügen. Kultur leistet seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte in all ihren Ausprägungen einen elementaren Beitrag zur gesellschaftspolitischen Bildung. Sie vermag Gemeinsinn zu stiften und einen Zusammenhalt zu erzeugen. Sie verbindet Menschen, unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder ihrer ethnischen und sozialen Herkunft, und trägt damit wesentlich zum Erhalt sowie zur Entwicklung unserer pluralistischen Gesellschaft bei. Sie liefert vielfältige Impulse und Denkanstöße zur Willens- und Persönlichkeitsbildung, sie transportiert Wissen und sie fungiert gleichermaßen als Bewahrerin ideeller Güter wie auch als visionäre Gestalterin.

All dies leistet Kultur mit einem Verständnis, das aus ihr selbst erwächst. Ihr Wert lässt sich durch nichts ersetzen und sie ist zweifellos ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Sie verdient daher einen langfristigen und nachhaltigen Schutz. Gleiches gilt für den uneingeschränkten Zugang der Bevölkerung zu Kunst und Kultur.

Wir fordern daher:

  • Den Schutz von Kunst und Kultur als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern.
  • Das Recht auf unbeschränkte Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am kulturellen Leben und an kultureller Bildung als Grundrecht im Grundgesetz zu verankern.
  • Langfristige stabile Sicherungsinstrumente für Kunst- und Kulturschaffende zu etablieren sowie ein auf sie zugeschnittenes gesetzliches Regelwerk zu schaffen, das sie vor unverschuldeten Verdienstausfällen schützt.

Die Arbeit aller Kunst- und Kulturschaffenden ist als eine gesellschaftliche zu sehen und darf nicht mit wirtschaftlichen Maßstäben gemessen werden. Letzteres verhindert, dass jeder Mensch, egal welchen sozialen Standes, Zugang zu Kunst und Kultur erhält und dass die vermeintliche Freiheit der Kunst und Kultur keine wirtschaftlich abhängige bleibt. Kultur ist Bildung und muss deshalb Obliegenheit des Staates und aller gesellschaftlichen Kräfte sein.

Kathrin Schülein | Leiterin des Theaters Adlershof | Initiatorin von „Kultur ins Grundgesetz“ (www.kulturinsgrundgesetz.de)

Dieser Artikel ist Teil unserer Publikation: “Vielheitsplan Kultur – rein praktisch!” Weitere Informationen finden Sie hier

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