Ein Kooperationsprojekt des Integrationshaus e.V. und des Kunts e.V. in Zusammenarbeit mit dem Rautenstrauch-Joest-Museum, März – Dezember 2022
Was bewegt uns?
Wie kann ein Museum ein demokratischer Ort werden? Wie kann Wissens- und Deutungsmacht geteilt werden? Wie kann ein Museum ein Ort für gemeinsame Erinnerungen in einer diversen Gesellschaft werden? Wie können verschiedenen Stimmen eingebunden werden, ohne dass es sich um plakative und einmalige Augenblicke handelt? Und wie sieht ein demokratischer Ort in der Praxis aus? Das sind die großen Fragen, mit denen wir uns auf den Weg machen wollen.
Wie gehen wir vor?
Unsere praktische Umsetzung ist in zwei Teile gegliedert:
- Zunächst einmal werden wir analysieren, welche Barrieren – offen liegende als auch verdeckte – bestehen. In einem zweiten Schritt werden wir uns die verschiedenen Bedarfe anschauen. In einem dritten Schritt werden wir Indikatoren herausarbeiten, an denen wir die oben aufgeführten Fragen „beantworten“ werden. Dieser Prozess passiert durch Interviews und Befragungen sowohl von den Akteur:innen innerhalb der Institution als auch von Besucher:innen.
- Der zweite Teil unseres Prozess bilden zwei Ansätze, mit denen wir unsere Fragestellungen mit unterschiedlichen Herangehensweisen in die Praxis übertragen möchten. Zum einen mit der (A.) Erarbeitung einer rassimuskritischen Führung durch die Rautenstrauch-Joest-Museums und zum anderen mit der (B.) Initiierung einer literarischen Intervention.
Was soll am Ende des Projektes sein?
Am Ende haben wir eine Analyse von bestehenden Barrieren vorgenommen und erste Schritte definiert – eine Vision des Museums als demokratischer Ort. Aus diesem Projekt heraus sollen keine Einzelprojekte entstehen, sondern eine dauerhafte Strategie für ein Museum der Zukunft entwickelt werden.
In der Kölner Museumsnacht werden wir unsere Ergebnisse mit den Besucher:innen teilen und Führungen und Lesungen organisieren.
Unsere Ideen für die Praxis
- Der Mensch in seinen ANTIKOLONIALEN Welten
Rassismuskritische Führung durch die Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest- Museums
„Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit Ende des 15. Jahrhunderts markiert einen epochalen Umbruch von globalem Ausmaß. Die Entdeckung neuer Kontinente durch europäische Seefahrer leitet Europas Vormachtstellung in der Welt ein.“ Mit diesen Wörtern werden Besucher*innen im Bereich ‚Begegnung und Aneignung: Grenz- überschreitungen‘ in dieses Thema eingeführt. Diese zwei Sätze mögen von vielen Menschen als objektiv und faktenbasiert verstanden werden, jedoch verbergen sie zahlreiche Formen von Gewalt, die in diesem musealen Kontext fortgeschrieben werden. ‚Mittelalter‘ und ‚Neuzeit‘ sind zwar akademisch etablierte Begriffe für Epochen, jedoch basieren sie auf europäischen Entwicklungen und sind daher stark eurozentrisch. Von einer ‚Entdeckung neuer Kontinente‘ kann schwer die Rede sein, wenn die Ankunft von Invasoren, Mördern und Menschenhändlern in Abya Yala gemeint ist. Und was ist im oben genannten Zitat mit ‚Europas Vormachtstellung‘ gemeint? Soll das auf einen bis heute andauernden Zustand hindeuten? Hier lässt sich jedenfalls keine objektive Position erkennen, sondern eine Weltsicht, die Entwicklung als etwas lineares versteht, von ‚unterentwickelt‘ zu ‚hochentwickelt‘ (=Vormachtstellung). Soweit eine kurze einführende Kritik, die sich auf zahlreiche Texte in der Dauerausstellung vom Rautenstrauch-Joest-Museum ausweiten ließe.
Wie kann aber diesem Narrativ entgegengewirkt werden? Mit der geplanten Führung wird ein Versuch gestartet, die Dauerausstellung in ihrem jetzigen Zustand gegen zu lesen. Dazu werden sowohl existierende Textpassagen kritisiert als auch Repräsentationsformen von Objekten/Subjekten. Welche Bilder ‚außereuropäischer Kulturen‘ werden produziert und reproduziert und welche Alternativen wären möglich? Welche Stimmen wurden in dieser Ausstellung ausgelassen und was könnten sie uns über die ausgestellten Objekte/Subjekte erzählen? Dieser Ansatz knüpft an die Methodik der vergangenen Sonderausstellung ‚RESIST! Die Kunst des Widerstands‘, bei der eine Mehrstimmigkeit grundlegend war, um die Vergangenheit und Gegenwart antikolonialer Kämpfe zu beleuchten. Denn es sollte nicht um oft reproduzierte eurozentrische Narrative über Kolonialgeschichte gehen, sondern um den Widerstand dagegen, damals und heute.
Die geplante Führung soll nicht nur einen Einblick in diese oft unerhörten Geschichten liefern, sondern durch Beispiele über den Umgang mit Objekten/Subjekten das enge Verhältnis zwischen vergangener rassistischer kolonialer Gewalt und heutiger Kämpfe um Antidiskriminierung, Restitution und Reparation beleuchten. Ebenso ist angedacht, eine Depotführung als Beitrag zur Öffnung und Transparenz des Museums als Institution zu etablieren.
- Das Museum spricht
Vom Konservieren zur Konversation: Eine Literarische Intervention
Wir gehen in Museen, betrachten die Ausstellungsstücke, holen uns – wenn wir das wollen – auf unterschiedlichen Wegen Informationen zu den Eindrücken, die wir sammeln, und gehen nach Hause. Dort können wir erzählen, was wir gesehen haben. Was haben wir gesehen? Nach dem Besuch des Rautenstrauch-Joest-Museums erzählen wir wahrscheinlich von Masken, Türen, Bronzen, deren Herkunft, eventuell über deren Gebrauch und Alter.
Seit einigen Jahren ist dieser Ablauf durch post-koloniale und rassismuskritische Theorien und Praktiken gestört. Es wird über Restitutionen, Strafexpeditionen, Kolonialisierte und Kolonialverbrechen, Landraub und Genozid gesprochen. Das Museum, die Menschen, die es gründeten und ausstatteten, die, die es kuratieren und leiten, rücken in den Vordergrund. Es werden Stimmen laut von Menschen, die beraubt wurden, deren Familien gefoltert, ermordet, deren Lebensgrundlage vernichtet wurde. Diese Narrative sollen im Jahr der Rückgaben der Benin Bronzen aus dem Rautenstrauch-Joest-Museum nach Nigeria im Museum sprechen und gehört werden.
Da die Literatur die Kunst und Praktik ist, Geschichten zu erzählen, möchten wir in Zusammenarbeit mit dem Museum und dem Integrationshaus e.V. einen literarischen Audioguide erstellen. Er wird die Geschichten von Besucherinnen wie Peju Layiwola erzählen, die in ihrem Gedicht „I have come to take you home“ ihre Eindrücke und Gedanken schildert, während sie die Ausstellung des Museums besucht. Ein Gedicht, das kein Objekt beschreibt, sondern ein lebendiges Gegenüber. Ein Gedicht, das das Museum hervortreten lässt und einen Weg „durch Taschen von Plünderern, von Auktionstischen zu/ stummen Kammern der Museums-Keller“.
Wir fragen uns: Was würde das Museum antworten? Würden Adele Rautenstrauch und Wilhelm Joest loslassen können? Welche Geschichten erzählen die Menschen aus Köln? Inwiefern sind sie anders – oder ähnlich – zu den Geschichten derer, die nicht aus Köln kommen? Was will das Museum? Was wollen die Menschen, die in das Museum besuchen? Wie sehen die Schnittmengen, die Auseinandersetzungen aus? Wie die Probleme, Hoffnungen und Gegenseitigkeiten? Was ist möglich? Was nicht? Wir fragen uns und geben die Fragen an das Publikum weiter. An den Ausstellungsort und an die Wesen und Dinge, die es bewohnen. Wir hören zu. Und das Museum spricht.
Integrationshaus e.V.
Elizaveta Khan | elizaveta.khan@ihaus.org
Ricardo Márquez García | rimar27@hotmail.com
Kunts e.V.
Jonas Linnebank | jolin@ihaus.org
Das Projekt wird durch den Fonds Soziokultur aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR gefördert.