Die Baustelle.

Ricardo Márquez García

Zur Entstehung und Umsetzung der rassismuskritischen Führung im Rahmen des Projektes „Die Baustelle. Aus Konservierung wird Konversation“.

Die Autorin und rassismuskritische Trainerin Tupoka Ogette inspirierte mich ganz besonders bei der Vorbereitung der rassismuskritischen Führung durch die Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM). Ihre Worte, vor allem ihre Metaphern sind stark und eindeutig. Sie macht in ihren Schriften deutlich, dass es keine rassismusfreien Räume gibt. Rassismus sei wie Smog, den wir alle einatmen, ob wir es wollen oder nicht. Entsprechend sind wir alle rassistisch sozialisiert und wenn wir uns nicht darüber bewusstwerden und dagegen arbeiten, reproduzieren wir rassistische Einstellungen. Meist unbewusst. Denn Rassismus sei nicht nur in der ‚rechten Ecke‘ zu finden, sondern spiele sich überall ab. 

Mit diesen und weiteren Impulsen und meinen eigenen Diskriminierungserfahrungen als nicht-weißer Mensch in Deutschland machte ich mich an die Aufgabe, die Dauerausstellung des RJM rassismuskritisch zu lesen und eine Führung zu konzipieren. Schnell wurde mir klar, dass es sehr viele Stellen zu thematisieren gäbe, weswegen ich mich auf einige Beispiele konzentrierte. Das Vorgehen lässt sich aber auf die ganze Ausstellung anwenden und folgt den Fragen: Was wird gezeigt bzw. präsentiert? Was wird nicht präsentiert? Inwiefern handelt es sich um eine Repräsentation, die Rassismus reproduziert? Welche alternativen rassismuskritischen Darstellungsformen gibt es?

Einer der ersten Räume der Ausstellung, ‚Begegnung und Aneignung‘ genannt, ist sehr kritisch zu betrachten und bietet sehr viele Stellen, die sich aus einer rassimuskritischen Perspektive bemängeln lassen. Oder um es in den Worten einer sehr reflektierten Besucherin zu artikulieren: Viele der dortigen Darstellungen sind fahrlässig, denn sie reproduzieren Rassismus in unterschiedlichsten Formen. Im Raum wird man von zwei weißen Männern (Wilhelm Joest und Max von Oppenheim) empfangen, die als zentrale Figuren für die Gründung des Museums absolut unkritisch präsentiert werden. 

Ihre Privilegien als weiße Männer Ende des 19. Jahrhunderts werden nicht erwähnt, sondern ihre Taten als Sammler, Reisende und Wissenschaftler als persönliche Errungenschaften präsentiert. Der Ursprung von Joests Familienreichtum, z.B., im Tauschhandel von Eisenwaren aus deutschen Ländern gegen Zucker aus lateinamerikanischen Ländern zu einer Zeit, in der die Sklaverei als legale Institution auf Kuba und in Brasilien noch bestand, findet keine Erwähnung. Zudem geben unkritische Portraits von weiteren historischen Akteuren wie Christoph Kolumbus oder Gustav Nachtigal ein romantisierendes Bild europäischer kolonialer Unternehmungen wieder. 

Mit ergänzenden Informationen und Originalzitaten (u.a. von Gegenstimmen) versuche ich zu verdeutlichen, dass die jeweilige Darstellung der Person nicht die einzig mögliche ist und sie in ihrer aktuellen Form Rassimus re(-produziert). Denn weiße Menschen, die für die Versklavung, Ermordung, Enteignung und Vertreibung von nicht-weißen Menschen verantwortlich waren, werden hier wie Helden gefeiert. Die kritischen und widerständigen Stimmen nicht-weißer Menschen wurden ausgelassen, wodurch ihre vermeintliche Passivität und Unterlegenheit fälschlicherweise bestätigt wird. An diesen Stellen stinkt es stark nach Smog… 

Während der Führung gehe ich auf weitere Fälle ein, die rassistische Einstellungen der Macher:innen der Ausstellung verdeutlichen. Diese Menschen achteten nicht auf eine rassismuskritische Art der Darstellung. Sie trainierten nicht den ‚rassismuskritischen Muskel‘, um wieder die Worte von Tupoka Ogette zu benutzen. Mit alternativen Repräsentationsformen versuche ich die Besucher:innen zu ermutigen, die Ausstellung gegen den Strich zu lesen und angeblich universelles (oft rassistisches) Wissen zu hinterfragen. Das RJM unternimmt aktuell viel, um sich selbst kritisch zu reflektieren und rassismuskritische Ausstellungsformate zu fördern. Trotzdem existiert die Dauerausstellung noch teilweise, wie sie vor circa zehn Jahren konzipiert wurde. Und in dieser Form ist sie toxisch. Ich empfehle weiterhin einen Besuch mit Mund-Nasen-Schutz.  

Ricardo Márquez García

Ricardo Márquez García ist ein kolumbianischer Kulturvermittler und Wissenschaftler und lebt derzeit in Köln. Vier Jahre lang (2014-2018) lebte, forschte und lehrte er in Kamerun, zunächst in der Hauptstadt Yaoundé und dann im Westen des Landes in Dschang. Von 2020 bis 2022 arbeitete er als Juniorkurator im Rautenstrauch-Joest-Museum und seit 2021 ist er Doktorand im Exzellenzcluster «Bonn Center for Dependency and Slavery Studies». In seiner Tätigkeit als Juniorkurator koordinierte er die Sonderausstellung «RESIST! Die Kunst des Widerstands».

Kontakt: rimar27@hotmail.com

Dieser Artikel ist Teil der Publikation: “Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums”, Weitere Infos und die vollständige Publikation finden Sie hier: Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums

Die Baustelle.