Ein Kooperationsprojekt des Integrationshaus e.V. und des Kunts e.V. in Zusammenarbeit mit dem Rautenstrauch-Joest-Museum, März – Dezember 2022


Was bewegt uns?

Wie kann ein Museum ein demokratischer Ort werden? Wie kann Wissens- und Deutungsmacht geteilt werden? Wie kann ein Museum ein Ort für gemeinsame Erinnerungen in einer diversen Gesellschaft werden? Wie können verschiedenen Stimmen eingebunden werden, ohne dass es sich um plakative und einmalige Augenblicke handelt? Und wie sieht ein demokratischer Ort in der Praxis aus? Das sind die großen Fragen, mit denen wir uns auf den Weg machen wollen.


Wie gehen wir vor?

Unsere praktische Umsetzung ist in zwei Teile gegliedert:

  1. Zunächst einmal werden wir analysieren, welche Barrieren – offen liegende als auch verdeckte – bestehen. In einem zweiten Schritt werden wir uns die verschiedenen Bedarfe anschauen. In einem dritten Schritt werden wir Indikatoren herausarbeiten, an denen wir die oben aufgeführten Fragen „beantworten“ werden. Dieser Prozess passiert durch Interviews und Befragungen sowohl von den Akteur:innen innerhalb der Institution als auch von Besucher:innen.
  2. Der zweite Teil unseres Prozess bilden zwei Ansätze, mit denen wir unsere Fragestellungen mit unterschiedlichen Herangehensweisen in die Praxis übertragen möchten. Zum einen mit der (A.) Erarbeitung einer rassimuskritischen Führung durch die Rautenstrauch-Joest-Museums und zum anderen mit der (B.) Initiierung einer literarischen Intervention.

Was soll am Ende des Projektes sein?

Am Ende haben wir eine Analyse von bestehenden Barrieren vorgenommen und erste Schritte definiert – eine Vision des Museums als demokratischer Ort. Aus diesem Projekt heraus sollen keine Einzelprojekte entstehen, sondern eine dauerhafte Strategie für ein Museum der Zukunft entwickelt werden.

In der Kölner Museumsnacht werden wir unsere Ergebnisse mit den Besucher:innen teilen und Führungen und Lesungen organisieren.


Unsere Ideen für die Praxis

  1. Der Mensch in seinen ANTIKOLONIALEN Welten

Rassismuskritische Führung durch die Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest- Museums

„Der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit Ende des 15. Jahrhunderts markiert einen epochalen Umbruch von globalem Ausmaß. Die Entdeckung neuer Kontinente durch europäische Seefahrer leitet Europas Vormachtstellung in der Welt ein.“ Mit diesen Wörtern werden Besucher*innen im Bereich ‚Begegnung und Aneignung: Grenz- überschreitungen‘ in dieses Thema eingeführt. Diese zwei Sätze mögen von vielen Menschen als objektiv und faktenbasiert verstanden werden, jedoch verbergen sie zahlreiche Formen von Gewalt, die in diesem musealen Kontext fortgeschrieben werden. ‚Mittelalter‘ und ‚Neuzeit‘ sind zwar akademisch etablierte Begriffe für Epochen, jedoch basieren sie auf europäischen Entwicklungen und sind daher stark eurozentrisch. Von einer ‚Entdeckung neuer Kontinente‘ kann schwer die Rede sein, wenn die Ankunft von Invasoren, Mördern und Menschenhändlern in Abya Yala gemeint ist. Und was ist im oben genannten Zitat mit ‚Europas Vormachtstellung‘ gemeint? Soll das auf einen bis heute andauernden Zustand hindeuten? Hier lässt sich jedenfalls keine objektive Position erkennen, sondern eine Weltsicht, die Entwicklung als etwas lineares versteht, von ‚unterentwickelt‘ zu ‚hochentwickelt‘ (=Vormachtstellung). Soweit eine kurze einführende Kritik, die sich auf zahlreiche Texte in der Dauerausstellung vom Rautenstrauch-Joest-Museum ausweiten ließe.

Wie kann aber diesem Narrativ entgegengewirkt werden? Mit der geplanten Führung wird ein Versuch gestartet, die Dauerausstellung in ihrem jetzigen Zustand gegen zu lesen. Dazu werden sowohl existierende Textpassagen kritisiert als auch Repräsentationsformen von Objekten/Subjekten. Welche Bilder ‚außereuropäischer Kulturen‘ werden produziert und reproduziert und welche Alternativen wären möglich? Welche Stimmen wurden in dieser Ausstellung ausgelassen und was könnten sie uns über die ausgestellten Objekte/Subjekte erzählen? Dieser Ansatz knüpft an die Methodik der vergangenen Sonderausstellung ‚RESIST! Die Kunst des Widerstands‘, bei der eine Mehrstimmigkeit grundlegend war, um die Vergangenheit und Gegenwart antikolonialer Kämpfe zu beleuchten. Denn es sollte nicht um oft reproduzierte eurozentrische Narrative über Kolonialgeschichte gehen, sondern um den Widerstand dagegen, damals und heute.

Die geplante Führung soll nicht nur einen Einblick in diese oft unerhörten Geschichten liefern, sondern durch Beispiele über den Umgang mit Objekten/Subjekten das enge Verhältnis zwischen vergangener rassistischer kolonialer Gewalt und heutiger Kämpfe um Antidiskriminierung, Restitution und Reparation beleuchten. Ebenso ist angedacht, eine Depotführung als Beitrag zur Öffnung und Transparenz des Museums als Institution zu etablieren.


One of the Drawers containing subjects/objects located in RJM Depot.
  • Das Museum spricht

Vom Konservieren zur Konversation: Eine Literarische Intervention

Wir gehen in Museen, betrachten die Ausstellungsstücke, holen uns – wenn wir das wollen – auf unterschiedlichen Wegen Informationen zu den Eindrücken, die wir sammeln, und gehen nach Hause. Dort können wir erzählen, was wir gesehen haben. Was haben wir gesehen? Nach dem Besuch des Rautenstrauch-Joest-Museums erzählen wir wahrscheinlich von Masken, Türen, Bronzen, deren Herkunft, eventuell über deren Gebrauch und Alter.

Seit einigen Jahren ist dieser Ablauf durch post-koloniale und rassismuskritische Theorien und Praktiken gestört. Es wird über Restitutionen, Strafexpeditionen, Kolonialisierte und Kolonialverbrechen, Landraub und Genozid gesprochen. Das Museum, die Menschen, die es gründeten und ausstatteten, die, die es kuratieren und leiten, rücken in den Vordergrund. Es werden Stimmen laut von Menschen, die beraubt wurden, deren Familien gefoltert, ermordet, deren Lebensgrundlage vernichtet wurde. Diese Narrative sollen im Jahr der Rückgaben der Benin Bronzen aus dem Rautenstrauch-Joest-Museum nach Nigeria im Museum sprechen und gehört werden.

Da die Literatur die Kunst und Praktik ist, Geschichten zu erzählen, möchten wir in Zusammenarbeit mit dem Museum und dem Integrationshaus e.V. einen literarischen Audioguide erstellen. Er wird die Geschichten von Besucherinnen wie Peju Layiwola erzählen, die in ihrem Gedicht „I have come to take you home“ ihre Eindrücke und Gedanken schildert, während sie die Ausstellung des Museums besucht. Ein Gedicht, das kein Objekt beschreibt, sondern ein lebendiges Gegenüber. Ein Gedicht, das das Museum hervortreten lässt und einen Weg „durch Taschen von Plünderern, von Auktionstischen zu/ stummen Kammern der Museums-Keller“.

Wir fragen uns: Was würde das Museum antworten? Würden Adele Rautenstrauch und Wilhelm Joest loslassen können? Welche Geschichten erzählen die Menschen aus Köln? Inwiefern sind sie anders – oder ähnlich – zu den Geschichten derer, die nicht aus Köln kommen? Was will das Museum? Was wollen die Menschen, die in das Museum besuchen? Wie sehen die Schnittmengen, die Auseinandersetzungen aus? Wie die Probleme, Hoffnungen und Gegenseitigkeiten? Was ist möglich? Was nicht? Wir fragen uns und geben die Fragen an das Publikum weiter. An den Ausstellungsort und an die Wesen und Dinge, die es bewohnen. Wir hören zu. Und das Museum spricht.


Integrationshaus e.V.
Elizaveta Khan | elizaveta.khan@ihaus.org

Ricardo Márquez García | rimar27@hotmail.com

Kunts e.V.

Jonas Linnebank | jolin@ihaus.org


Das Projekt wird durch den Fonds Soziokultur aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR gefördert.


Im Projektjahr 2021 hat sich SPEKTRUM vorgenommen, zu den drei Projektschwerpunkten unterschiedliche Aktivitäten durchzuführen:

Take care

Neben dem regelmäßigen Kontakthalten (mindestens zwei Mal in der Woche)  während der Infektionsschutzmaßnahmen, die mit Anrufen, Nachrichten, Einzelgesprächen und gemeinsamen Schauen von online-Streams und Filmen, wurde eine Einzelsprechstunde „I hear You“ organisiert. Während dieser Stunden können einzelne Personen einen Raum im Integrationshaus e.V. aufsuchen, und über alles, was sie bedrückt sprechen. Neben dem Zuhören, nimmt die Verweisberatung zu Fachstellen und psychosozialen Einrichtungen einen wichtigen Raum ein.

Take space

Seit April 2021 konnte in Köln-Kalk ein Raum angemietet, den die Engagierten von SPEKTRUM zu einem rassismuskritischen und diversitätssensiblern Raum für LGBTQI+BPoC organisiert wurde. Dieser Raum soll an aller erster Stelle ein Schutzraum sein. Daneben werden hier regelmäßige Treffen ermöglicht, unabhängig, in Eigenregie und mit Angeboten und Öffnungszeiten, die den Lebensrealitäten und Bedarfe der Community entsprechen. Die Nutzung des Raums bedeutet für die jeweiligen Engagierten die Möglichkeit, gesellschaftliches Engagement zu erleben und zu gestalten. Aus dieses entstehen weitere Aktivitäten von und für unser Zusammenleben. Hier kann die und der Einzelne in Zusammenarbeit mit anderen ihre und seine persönlichen Kräfte entfalten und nutzen, und sich für andere einbringen.

Eine wichtige Rolle nimmt also die Queer Constitution ein, die SPEKTRUM für den Raum entworfen hat. Die Präambel der Consitution ist: Wir behandeln jede Person im Raum mit Respekt, Würde, Freundlichkeit und Höflichkeit. Dieser Raum soll für möglichst viele Menschen ein guter Raum sein – wir achten darauf, dass wir gut mit Menschen und Sachen umgehen:

Queer Constitution

Wir behandeln jede Person im Raum mit Respekt, Würde, Freundlichkeit und Höflichkeit. Dieser Raum soll für möglichst viele Menschen ein guter Raum sein – wir achten darauf, dass wir gut mit Menschen und Sachen umgehen. Das bedeutet:

  • – In diesem Raum gilt das Recht der Humanität.
  • – Wir respektieren die Namen und Pronomen der Menschen
  • – Wir respektieren das Selbstbestimmungsrecht
  • – Wir stellen selbstgewählte Identifikationen nicht in Frage
  • – Wir stellen Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen nicht in Frage
  • – Wir reflektieren unsere Privilegien und teilen diese so viel es geht
  • – In diesem Raum gibt es keinen Platz für Menschenfeindlichkeit
  • – In diesem Raum gibt es keinen Platz für Rassismus und jegliche Form von Diskriminierung
  • – In diesem Raum gibt es keinen Platz für physische und psychische Aggressionen

Dazu hat SPEKTRUM auch ein Video erstellt:

https://www.youtube.com/watch?v=BuUCAa1zJiQ&t=5s

Der Raum wird nicht nur von Aktiven von SPEKTRUM genutzt, sondern auch anderen LGBTQI+ und BPoC Gruppen und Initiativen zur Verfügung gestellt. In diesem Raum können sowohl Aktivitäten organisiert werden, als auch Workshops und Angebote zur Reflexion stattfinden. Bis heute nutzen über 15 verschiedene Gruppen und Initiativen den Raum für ihre Aktivitäten, es finden Ausstellungen, Lesungen und auch kleine Konzerte statt. Diese Nutzungsform spricht vor allem Menschen aus der migrantischen Community an, im Demokratie Space trifft sich die jüdische Gemeinde, Frauen*Sprach*Cafés, Initiativen für mehr Grün, Gruppen für Engagement und vor allem auch queere BIPoC, die den Raum als einen Safer Space nutzen. Durch die Wocheneden und die Abendstunden können auch Menschen eingebunden werden, die zu den regulären Beteiligungsformaten keinen Zugang haben.

Be present

In 2021 hat sich SPEKTRUM vorgenommen, eine verstärktere Präsenz der Themen in den städtischen und politischen Strukturen wie Integrationsrat und StadtAG LST zu schaffen. Die Aktiven der SPEKTRUM Gruppe sind in verschiedenen Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen aktiv, beteiligen sich beim diesjährigen CSD-online Stream und werden auch politische Forderungen über den Integrationsrat Köln einbringen. Außerdem konnte eine Person aus der SPEKTRUM Gruppe ein Ausstellungselement in der Ausstellung „RESIST- die Kunst des Widerstands“ gestalten. Außerdem war SPKETRUM bei der Organisation von zwei Demonstrationen beteiligt.


Januar – Dezember 2021

Das Projekt wurde gefördert von: Queeres Netzwerk NRW, Programm „„Q_munity“, gefördert vom Ministerium für Kinder, Familie, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen.

In 2022 sollen die beiden Schwerpunkte “BASE” und “NETWORK” durch folgende Maßnahmen und Aktivitäten aufgegriffen werden:
BASE:
Gestaltung eines Gruppenangebotes für Jugendliche und junge Erwachsene nach Migration und Flucht, insbesondere für weiblich identifizierte und/oder trans*geschlechtliche Jugendliche und junge Erwachsene. Dazu wird vier Mal im Monat ein offenes Gruppenangebot im Demokratiespace organisiert. Daneben wird ein Beratungsangebot für die Zielgruppe in Bezug auf Amtsgänge, Behördenschreiben und Fragen zum Aufenthalt etc. initiiert. Dieses Angebot soll ebenfalls freitags im Demokratie-Space umgesetzt werden. Vier Mal im Monat wird auch das Angebot der Sprechstunde “I hear You” umgesetzt. Während dieser Sprechstunde können einzelne Personen einen Raum im Demokratie Space aufsuchen, und über alles, was sie bedrückt sprechen. Neben dem Zuhören, nimmt die Verweisberatung zu Fachstellen und psychosozialen Einrichtungen einen wichtigen Raum ein.
NETWORK:
Ausbau und Verstetigung der Netzwerkarbeit zur Beteiligung und Mitbestimmung von Menschen mit Fluchterfahrung bis 26 Jahre in die haupt- und ehrenamtlichen Strukturen der Jugendarbeit. Dazu werden queere Gruppen und Initiativen im Kölner Raum als auch NRW-weite Gruppen für die Netzwerkarbeit angesprochen. Neben der Möglichkeit der Nutzung des Demokratie-Space, sollen gemeinsame Aktivitäten zu mehr Sichtbarkeit organisiert werden.

Januar – Dezember 2021

Das Projekt wurde gefördert von: Queeres Netzwerk NRW, Programm „„Q_munity“, gefördert vom Ministerium für Kinder, Familie, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen.

Die Jugendgruppe SPEKTRUM organisiert ein Angebot für junge Menschen zwischen 14 und 27 Jahren, unabhängig ihrer sexuellen Orientierung, und unabhängig ihres Aufenthaltstitels. Das offene Treffen findet jeweils an zwei Samstag eines jeden Monats statt.

Seit 2020 möchte sich die Gruppe weiter festigen und vor allem Netzwerke und Kooperationen zu weiteren Initiativen, die sich als BPoC* & LGBTQI positionieren aufbauen, um den Erfahrungsaustausch untereinander zu stärken, gemeinsame Aktionen zu planen und um das ganze Themenfeld einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Ziele des Projektes sind Folgende:

  • Ausbau von Kooperationen und Netzwerken zu ähnlichen Initiativen;
  • Planung und Durchführung gemeinsamer Aktivitäten;
  • Beteiligung am CSD-Köln;
  • Aufbau einer größeren Öffentlichkeitsarbeit für das Themenfeld.

Januar- Dezember 2020

s Projekt wird gefördert von: Schwules Netzwerk NRW, Programm „Queere geflüchtete Jugendlichen 2019“, gefördert vom Ministerium für Kinder, Familie, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen.

Ehrenamtliches Engagement ist Freiwilligenarbeit, Selbsthilfe und wichtige Ressource zur Erhaltung der Lebensqualität in der Gesellschaft. Im Projekt “Power of Love” haben sich junge Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte aus der LGBTQI* Community in ihrem Engagement für Diversität und Gleichberechtigung gestärkt und für die Entwicklung und Durchführung von Projekten qualifiziert. Sie haben dadurch das notwendige methodische und organisatorische Wissen und Techniken erhalten, eigene Projekte und Projektideen zu entwickeln und umzusetzen. Im Vorhaben haben die jungen Menschen ein Schema, „von der Projektidee bis zum Projektabschluss“ konzipiert, sich über Projektmanagement, Aufgabenteilung sowie Teamarbeit ausgetauscht und dadurch für die Durchführung eigener Projekte qualifiziert.

Hauptziel des Vorhabens war es also, junge queere Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchterfahrung in ihrem Engagement zu stärken und zu qualifizieren. Die Menschen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind, sollten damit Empowerment erfahren. Damit einher ging der Grundgedanke, die „Projektlandschaft“ mit mehr Zugängen als auch Diversitäten zu gestalten, in dem junge Menschen aus der Community selbst, Projekte umsetzen und damit auch Themen, den Diskurs, bestimmen können.

Juli – Dezember 2019
Das Projekt wurde gefördert von: Schwules Netzwerk NRW, Programm „Queere geflüchtete Jugendlichen 2019“, gefördert vom Ministerium für Kinder, Familie, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen.

Im Rahmen des Projektes ist die Handreichung “The power of love” entstanden, die Ihr hier herunterladen könnt.

Die gedruckte Handreichung könnt Ihr auch über uns bestellen:
Integrationshaus e.V.
Ottmar-Pohl-Platz 5
51103 Köln
info@ihaus.org

Begriffe Und Begrifflichkeiten

Nach 27 Jahren erfolgreicher Arbeit und vielen schönen Momenten ist es Zeit für eine Veränderung: Zum Dezember 2024 übergibt die Leitung der Buchhandlung Kalker Hauptstraße an In-Haus e.V., die sich mit großer Freude um die Fortführung kümmern werden.

Seit 1996 ist die Buchhandlung ein fester Bestandteil von Kalk, ein Ort, an dem Bücher, Ideen und Gespräche ihren Platz gefunden haben. Wir sind froh, dass dieser besondere Raum weiterhin Bestand haben wird – als Anlaufstelle für Literatur und Begegnung.

Vielen Dank für Ihre Treue und Unterstützung in all den Jahren! Wir freuen uns, die Buchhandlung in engagierte Hände zu übergeben, die mit frischem Schwung an die Sache herangehen werden.

Neue Updates und Informationen: https://linktr.ee/kalkerbuchladen

Ihr Team der Buchhandlung Kalker Hauptstraße

Awareness bei Veranstaltungen

Ihr braucht Unterstützung bei Euren Veranstaltungen? Im Folgenden stellen wir Euch unseren Ansatz für ein Awareness-Konzept bei Veranstaltungen vor:

Vorab

Rassismuskritische und migrationssensible Angebote initiieren, bestehende Angebote unter die Lupe nehmen, und sich auf den Prozess einlassen, innere und äußere Widersprüche und Widerstände zu thematisieren, diese auszuhalten und konstruktiv aufzulösen – das ist harte Arbeit, und ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist: “Rassismuskritik bedeutet seitens weißer Personen in besonderem Maße andauernde Selbstkritik und Reflexion … Gefühle wie Wut, Schuld und Scham können immer wieder auftreten. Doch je mehr wir unsere Verunsicherung und unser Unwohlsein verstehen und aushalten lernen, desto einfacher wird es uns fallen, uns trotz bzw. in diesem Unbehagen wohl zu fühlen und zuversichtlich gegen Rassismus einzutreten, anstatt permanent daran zu arbeiten „nicht rassistisch zu sein“ (Bönkost 2017). Zu rassismuskritischer Reflexion gehören Diversitätssensibilität und das Bewusstsein um die eigene Verwobenheit auf individueller, sozialer und struktureller Ebene in Bezug auf Diskriminierung und Rassismus. Dabei sind Kompetenzen wie Ambiguitäts- und Widerspruchstoleranz gefragt. Wir haben uns gefragt: Wie können Räume dafür geschaffen werden, ohne ganze Veranstaltungen, Workshops etc. zu “sprengen”, und möglichst ohne, dass es auf Kosten von Diskriminierung und Rassismus negativ betroffene Personen geht?

Herangehensweise & Durchführung

Unser Team, bestehend in der Regel aus vier Personen unterschiedlicher Perspektiven und gesellschaftlicher Positionierungen, bringt diverse Erfahrungen aus den eigenen Biografien sowie der Arbeit für und mit verschiedenen Menschen und Organisationen mit. Wir verstehen uns dabei als unterstützende Struktur für die Veranstaltungen. Deswegen bezeichnen wir uns nicht als Awareness-Team, sondern als Support-Team. Zunächst besprechen wir uns mit den Veranstaltenden vor der Veranstaltung und empfehlen den Teilnehmenden ein Glossar mit relevanten Begriffen für die jeweilige Veranstaltung zu schicken sowie das Support-Team bekannt zu geben. Außerdem haben wir für die Veranstaltung einen Vorschlag für ein kollektives Verständnis erarbeitet, die wir aus verschiedenen Veranstaltungen und durch die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Kooperationspartner:innen zusammengetragen haben. Diese können ebenfalls vorab oder aber zu Beginn der Veranstaltung allen Teilnehmenden vorgestellt werden.

Ideen für Commitments vom Support Team

  • Rassismuskritik bedeutet, historisch und strukturell tief verankerte Denkmuster zu durchbrechen.
  • Diversitätssensibles und rassismuskritisches Handeln ist ein Lernprozess und hat kein abgeschlossenes Ziel, sondern stellt die Bereitschaft zu (ver)lernen in den Mittelpunkt.
  • Die Verantwortung für die Gestaltung diskriminierungssensibler und rassismuskritischer Räume liegt bei allen Personen, die im Raum sind. Die Wirksamkeit von Handlungen und Interventionen sind je nach Machtpositionen und Einflussmöglichkeiten unterschiedlich.
  • Wir werden allem niemals gerecht, aber wir versuchen unseren Anteil für eine solidarische, plurale Gesellschaft einzubringen.
  • Aufgrund der unterschiedlichen Wissensbestände im Raum, gibt es für von Rassismus und Diskriminierung negativ betroffene Menschen einen Time-Out Raum. Und für alle einen Reflexionsraum für die Kommunikation von Irritationen und Fragen.
  • Das Support Team unterstützt sowohl Veranstaltende als auch Teilnehmende bei Lernprozessen, beim Loswerden und Einordnen von Emotionen und bewertet nicht. Alles, was in den Räumen gesprochen wird, bleibt in den Räumen.
  • Sollte explizit gewünscht sein, dass Rückmeldungen an Veranstaltende zurückgemeldet werden, wird das Support Team diese sammeln und der Nachbereitung zur Veranstaltung an die Veranstaltenden weitertragen.

Wir laden alle Teilnehmenden ein, folgende Vorschläge für die Gestaltung der Veranstaltung anzunehmen und bitten die Veranstaltenden diese auf Plakaten in den Veranstaltungsräumen anzubringen.

Raum für Time-Out- und Reflexion

Das Support Team benötigt bei Veranstaltungen zwei Räume. Einen Time-Out-Room für BIPoC only und einen Reflexionsraum für alle Teilnehmenden und Referierenden. Die Ausstattung der Räume sollte sich von Workshop Räumen unterscheiden, vor allem der Time-Out-Raum sollte einladend und gemütlich gestaltet sein. Empfehlenswert sind außer Stühlen, verschiedene Sitzgelegenheiten und neben Kaltgetränken auch die Möglichkeit der Zubereitung von Heißgetränken. Kleine Snacks und Musik sowie verschiedene Materialien und “Instrumente” für Empowerment und Entspannung werden vom Support Team bereitgestellt. Für den Reflexionsraum empfehlen wir Literatur zum Thema und ebenso Kaltgetränke und die Möglichkeit der Zubereitung von Heißgetränken. In beiden Räumen sollten auch Schreibutensilien vorhanden sein, ebenso Informationen zur Tagung. Die Räume werden nach der Begrüßung und ggf. Einführungsvorträgen geöffnet und sollten bis zu eineinhalb Stunden nach Veranstaltungsende geöffnet bleiben. So haben alle die Möglichkeit sowohl während der Veranstaltung als auch im Nachgang diese zu nutzen. Das Support Team achtet darauf, dass der Time-Out-Room nur von BIPoC positionierten Personen begleitet und genutzt wird. Weiterhin wird um die Einhaltung der vorher kommunizierten Vorschläge zur Gestaltung der Räume gebeten und darauf geachtet.

Erfahrungswerte

Die Entwicklung des Konzepts für das Support Team ist relativ neu, deswegen können wir gegenwärtig lediglich von drei Veranstaltungserfahrungen berichten. Festhalten können wir zunächst, dass die Einrichtung von zwei zusätzlichen Räumen die Zurverfügungstellung von Ressourcen bedeutet. Rassismuskritsches und diversitätssensibles Arbeiten bedeuten also Mühe und Ressourcen. Die Personen, die die Räume aufgesucht haben, berichteten von positiven Erfahrungen. Oft wurde zurückgemeldet, dass es guttat, etwas loszuwerden, Gedanken laut zu formulieren, sich zu beschweren. Die Möglichkeit, Verständnisfragen zu Begrifflichkeiten zu stellen, Literaturempfehlungen zu bekommen und auch Irritationen und Unverständnis zu äußern, ohne sich rechtfertigen zu müssen, wurde ebenso als sinnvoll bewertet. Die Schaffung der beiden Räume stellt für jede einzelne Person sowohl Schutz als auch die Möglichkeit zur Reflexion und Austausch dar. Das hat einen hohen Wert für Teilnehmende und Veranstaltende.

Gerne könnt Ihr Euch wegen weiterer Informationen an uns wenden: elizaveta.khan@ihaus.org

Hi, wir sind eine gemeinnützige Organisation in Köln-Kalk.

Seit über 14 Jahren machen wir Sachen: Beratung, Sprachkurse, Kinderbetreuung für Eltern und Elternteile, die sonst an keinen Bildungsangebote teilnehmen könnten, Ferienprogramme, Workshops zu verschiedenen Themen, Kampagnen, Aktionen und Demonstrationen für eine gerechtere Gesellschaft, Festivals, Bustouren, wir teilen unser Knowhow, unsere Räume, unsere Ressourcen, um Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit zu unterstützen, wir machen Medienarbeit für mehr Sichtbarkeit, Stadtteilfeste fürs Zusammenwachsen und, und, und… [Mehr Hier]

Wir finanzieren uns bis jetzt über viel Arbeit, Projektförderungen und Spenden.

Und wir merken: Es reicht nicht. Um tatsächlich den kleinen-großen Unterschied zu machen, müssen wir mehr in Chancengerechtigkeit von Anfang an investieren. Das bedeutet: Wir möchten unsere Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche ausbauen und dazu brauchen wir Unterstützung. Denn alles, was wir tun, machen wir für die nach uns kommende Generation.

Am 10.09.2024 vor 60 Jahren kam der 1 Millionste Gastarbeiter aus Portugal in Köln an. 60 Jahre später ist viel passiert und es ist nicht alles nicht gelungen, aber wir sind der festen Überzeugung: Da geht noch was. Wir möchten langfristige Strukturen aufbauen und ein Bildungskonzept für den Sozialraum vor Ort entwickeln, das als Beispiel für andere Sozialräume gelten kann. Denn alle Kinder haben das Recht auf gleiche Chancen. Und alle Kinder haben das Recht auf Beteiligung. Wir können das nicht im Rahmen von Projekten realisieren, denn Demokratie und Bildung sind keine Projekte, sondern der ständige Einsatz dafür.

Und dafür brauchen wir Geld. Wir suchen also eine Million Menschen, die uns jeweils einen Euro spenden. Und wenn alles gut geht, kriegen wir so eine Million Euro zusammen. Und damit bauen wir ein Bildungsnetzwerk in Köln-Kalk auf, wo es verschiedene Betreuungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche geben wird, Frühstück, Mittag- und Abendessen, Nachhilfeunterricht, Kreativ- und Sportangebote und eine Anlaufstelle, wenn es in der Schule mal ganz schlecht läuft. Daneben möchten wir auch Eltern und Elternteile stärken und gemeinsam schauen, wie sie ihre Kinder unterstützen können, glücklich, stark und neugierig auf die Zukunft zu sein.

Seid Ihr dabei?

Mit SMS Spenden:

  1. Schickt eine SMS mit dem Kennwort “einemillion” an die Kurzwahl 81190.
  2. Ihr erhaltet sofort eine kostenlose Bestätigungs-SMS. So wisst Ihr, dass Deine Hilfe auch angekommen ist.
  3. Über die nächste Handyrechnung bzw. Euer Prepaid-Guthaben, werden Euch 1,17 € zzgl. der Standard-SMS-Versandkosten Eures Mobilfunkanbieters berechnet.

Hinweis: Für Unterstützungen per SMS kann Euch leider keine Spendenquittung ausgestellt werden. Bitte beachtet auch, dass nicht alle Mobilfunkanbieter die Charity-SMS, bzw. das „mobile zahlen“ unterstützen. So kann es z.B. bei Prepaid- oder Geschäftshandys zu Problemen kommen. Bitte wendet Euch in diesem Fall direkt an Euren Mobilfunk-Anbieter. (mit Unterstützung der Burda DirectInteractive GmbH)

Oder, bei gofundme könnt Ihr ab 5 € spenden – also 5 x 1 € spenden, mehr geht natürlich auch. Wir sind eine gemeinnützige Organisation, so dass wir auch eine Spendenbescheinigung ausstellen können.


*Wir sammeln insgesamt 1170.000 €, weil wir pro Charity SMS, über die wir die Aktion ebenso machen, 0,17 € an den Provider zahlen müssen. Damit wir am Ende tatsächlich 1 Million Euro haben, haben wir das Spendenziel entsprechend erhöht.

Begriffe Und Begrifflichkeiten

Im Folgenden greifen wir auf das Glossar von Begriffen und Begrifflichkeiten zurück, die wir im Rahmen des Projektes „Migrationssensible und rassismuskritische Kompetenz in der Jugendsozialarbeit“ als Kooperationspartner der LAG KJS e.V. mitgestaltet haben. Diese Auflistung ist nicht vollständig und umfassend, aber sie gibt einen ersten Überblick über zentrale Begriffe in den Fachdiskursen wider. Die komplette Handreichung zum Projekt gibt es hier: 

ANTI-BIAS-ANSATZ

Der Anti-Bias-Ansatz ist ein Ansatz der antidiskriminierenden Bildungsarbeit. Neben dem Fokus auf individuellen Vorurteilen und Haltungen einzelner Menschen, werden insbesondere auch gesellschaftliche Schieflagen, Macht- und Herrschaftsverhältnisse in der Anti-Bias-Arbeit in den Blick genommen werden. Der Anti-Bias-Ansatz zielt darauf, für das Themenfeld Diskriminierung zu sensibilisieren, Mechanismen und Funktionsweisen auf subjektiver und gesellschaftlicher Ebene zu verstehen und die eigenen Perspektiven, Handlungsweisen und Positionierungen in ihrer Verstrickung mit gesellschaftlich vorherrschenden Selbstverständlichkeiten kritisch zu reflektieren. Das Anliegen der Anti-Bias-Arbeit ist es, eine intensive erfahrungsorientierte Auseinandersetzung mit Macht und Diskriminierung zu ermöglichen und die Entwicklung alternativer Handlungsansätze zu diskriminierenden Kommunikations- und Interaktionsformen zu fördern. (Quelle: Anti-Bias-Werkstatt: http://www.anti-bias-werkstatt.de/h.speidel/abw/?q=de/content/was-ist-der-anti-bias-ansatz, letzter Zugriff: 01.8.19)

DISKRIMINIERUNG

Der Begriff „Diskriminierung“ verweist auf überaus heterogene Sachverhalte, die in jeweilige historische und gesellschaftliche Kontexte eingebettet sind und beschreibt die Benachteiligung von Menschen aufgrund bestimmter Eigenschaften. Besonders häufig werden Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihres Alters diskriminiert. Der Begriff Mehrfachdiskriminierung, auch multiple Diskriminierung genannt, wurde im Rahmen der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus im Jahr 2001 in Südafrika geprägt und bezieht sich auf Ungleichbehandlung aufgrund mehrerer Diskriminierungsmerkmale. 

Hierbei gibt es meist eine Gruppe von Menschen, die diskriminiert wird, und eine Gruppe von Menschen, die dadurch Vorteile hat. Diskriminierung ist nicht nur eine Folge individueller Einstellungen und Handlungen. Auch gesellschaftliche, ökonomische, politische und rechtliche Strukturen können zur Verfestigung von Benachteiligungen führen. Es ist ein komplexes System sozialer und gesellschaftlicher Beziehungen, in dem diskriminierende Unterscheidungen entstehen und wirksam werden. Diskriminierung dient der Begründung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und Ungleichheiten, der Verfestigung von Privilegien sowie der Aufrechterhaltung von Normalitätsvorstellungen. Jeder Form von  Diskriminierung liegt eine Unterscheidung und Bewertung durch eine Mehrheit zugrunde, was als gesellschaftliche Norm zu gelten hat (z. B. weiß, deutsch, männlich, heterosexuell, gesund, leistungsfähig, christlich etc.). Von Diskriminierung sind also diejenigen Gruppen betroffen, die den dominanten Normen nicht entsprechen. (zusammengestellt von Christine Müller, LAG KJS e.V., 2019)

EMPOWERMENT

Empowerment ist ein machtkritisches Konzept der Selbstermächtigung in kollektiven Gruppen oder Zusammenschlüssen von Menschen, die gesellschaftlich unterdrückt und entrechtet werden, deren Alltag von Fremdzuschreibungen, Abwertungen und Ausschlüssen geprägt ist. Es geht darum, Folgen von Diskriminierung (unsichtbar gemacht werden, Ohnmachtsgefühle, Angst, Einsamkeit, Selbstzweifel, vermindertes Selbstwertgefühl) in empowernden Räumen über vielfältige Wege entgegenzuwirken. 

Für die pädagogische Praxis bedeutet Empowerment u.a.:

  • in Räumen zu sein, in denen die eigene Identität nicht in Frage gestellt wird
  • in Räumen zu sein, in denen Diskriminierungserfahrungen ausgetauscht werden können
  • Anerkennung zu finden
  • sich der eigenen Fähigkeiten bewusst werden
  • einen eigenen Umgang mit Diskriminierung zu finden
  • den eigenen Ausdruck zu finden (z.B. durch Kreativität)
  • sich zu vernetzen
  • marginalisierte Perspektiven sichtbar zu machen
  • Wissen über Diskriminierung zu erlangen
  • Solidarität erlebbar zu machen

(Quelle: Kechaja, Maria (2019): Was ist Empowerment. In: Andreas Foitzik; Lukas Hezel (Hg.): Diskriminierungskritische Schule. Einführung in theoretisches Grundlagen. Beltz: Weinheim, Basel, S. 78.)

INTERSEKTIONALITÄT

Intersektionalität ist ein komplexer Ansatz der Ungleichheitsforschung und Antidiskriminierungsarbeit, mit dem unterschiedliche, gesellschaftlich hervorgebrachte soziale Kategorien in ihren Überkreuzungen (intersection = engl. für Überkreuzung) als Gründe für Diskriminierung, soziale Ausgrenzungen und Gewaltwiderfahrnisse berücksichtigt werden. Die Intersektionalitätsforschung versucht vor allem die Frage zu beantworten, wie sich welche Kategorien aufgrund ihrer Überkreuzungen gegenseitig abschwächen oder verstärken können. Zu den Ungleichheitsmerkmalen zählen u.a. Ethnizität, Gender, Religion, Sexualität, Klasse, Behinderung 

(Quelle: Aulenbacher, Brigitte/ Riegraf, Birgit (2012): Intersektionalität und soziale Ungleichheit. URL: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/aulenbacherriegraf/, letzter Zugriff: 01.8.19).

Die frühe Intersektionalitätsforschung entstand Ende der 1980er Jahre in den USA unter dem Einfluss der Rechtsanwältin Kimberlé Crenshaw. Sie kritisierte, dass anstatt der Wechselwirkung gesellschaftlicher Machtverhältnisse und der damit verbundenen Überkreuzungen von Diskriminierungsmechanismen Rechnung zu tragen, lediglich eine Dimension sozialer Kategorien isoliert betrachtet werde. Zur Verdeutlichung nutzte sie die Metapher einer Straßenkreuzung: „Nehmen wir als Beispiel eine Straßenkreuzung, an der der Verkehr aus allen vier Richtungen kommt. Wie dieser Verkehr kann auch Diskriminierung in mehreren Richtungen verlaufen. Wenn es an einer Kreuzung zu einem Unfall kommt, kann dieser von Verkehr aus jeder Richtung verursacht worden sein – manchmal gar von Verkehr aus allen Richtungen gleichzeitig. Ähnliches gilt für eine Schwarze Frau, die an einer „Kreuzung“ verletzt wird; die Ursache könnte sowohl sexistische als auch rassistische Diskriminierung sein.“

(Quelle: Crenshaw 2010: S. 38; Original, Crenshaw 1989: S. 149, zitiert nach Walgenbach 2012. URL: http://portal-intersektionalitaet.de/theoriebildung/ueberblickstexte/walgenbach-einfuehrung/, letzter Zugriff 01.8.19)

OTHERING

Die deutsche Übersetzung klingt ungewohnt, bringt es aber auf den Punkt: „Othering“ heißt, jemanden „andern“, zum/zur Anderen machen. Genau das passiert, wenn „Wir“ uns von den vermeintlich „Anderen“ abgrenzen. Diese Unterscheidung fußt auf hierarchischem und stereotypem Denken. Während die eigene „Normalität“ bestätigt und aufgewertet wird, erscheinen die „Anderen“ als weniger tolerant, demokratisch oder gebildet. Othering gibt es auch in Bildungseinrichtungen, etwa wenn bestimmte Jugendliche als Expert*innen „ihrer“ Kultur oder Religion befragt werden, obwohl ihre Lebenswelt damit nichts zu tun haben muss. Es erzeugt Ausgrenzung und reproduziert Vorurteile und Klischees. 

(Quelle: Amadeu-Antonio-Stiftung, Glossar: Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, 2014, www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/juan-faecher.pdf, S. 5.)

POSTKOLONIALE THEORIEN

Postkoloniale Theorien sind von der Grundannahme geleitet, dass koloniale Denkmuster und Strukturen noch heute, das heißt Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte nach dem formalen Ende des Kolonialismus, nachwirken – in den ehemaligen Kolonien, aber auch in den ehemaligen Kolonialstaaten. Dazu zählen vielfältige globale Verflechtungen, die sich in Politik und Wirtschaft, aber auch im Alltag und im Selbstverständnis von Individuen niederschlagen. Hier sind außerdem aktualisierte und verschiedentlich institutionalisierte Formen eurozentrischen und rassistischen Wissens besonders ausschlaggebend.

POWERSHARING

Powersharing, d.h. die Teilung von Macht mit minorisierten Gruppen aus einer relativ privilegierten Position heraus, hat zwei Voraussetzungen: Zum einen aktives Zuhören seitens der beteiligten Mehrheitsangehörigen, um die selbstdefinierten Perspektiven und Interessen minorisierter Menschen zu erfahren. Powersharing bedeutet nicht, sich selbst zu beauftragen, für andere „mitzusprechen“. Es geht weder um Vertretung noch um Toleranz, sondern um Machtzugang. Zum anderen stellt die Bewusstmachung der eigenen Privilegien und Ressourcen eine weitere Voraussetzung dar, da diese nur so gezielt eingesetzt und geteilt werden können. Wesentlich dabei ist die Frage danach, wer letzten Endes Kontrolle über Ressourcen und die Entscheidungsmacht über deren Einsatz hat. Eine Herausforderung von Powersharing besteht darin, zu respektieren, dass minorisierte Menschen andere Interessen haben und andere Entscheidungen treffen können, als es aus einer privilegierten Perspektive als ‚richtig‘ erscheint. Dazu gehört auch, das Recht von Menschen zu unterstützen, eigene Räume zu haben (zu denen mensch selber keinen Zugang hat), eigene ‘Fehler’ zu machen und wütend, fordernd und kritisch statt dankbar zu sein. 

(Quelle: Rosenstreich, Gabriele  (2006): Von Zugehörigkeiten, Zwischenräumen und Macht: Empowement und Powersharing in interkulturellen und Diversity-Workshops. In: Gaby Elverich ; Anita  Kalpaka; Karin Reindlmeier (Hg.): Spurensicherung – Reflektion von Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft, S. 195.)

BLACK, INDIGIOUS AND PEOPLE OF COLOR (BIPOC)

BIPoC ist eine Abkürzung aus dem Englischen für Black People, Indigenous People and People of Colour. Auf Deutsch bedeutet das Schwarze Menschen, Indigene Menschen und Menschen of Colour. Diese sind politische Selbstbezeichnungen von Menschen, die in weiß dominierten Kontexten rassifiziert werden, also rassistische Diskriminierungen erfahren. Die Begriffe beziehen sich nicht auf biologische Gegebenheiten, sondern auf soziale Konstruktionen. Das heißt sie stehen für die Herstellung von (Nicht-)Zugehörigkeit und Privilegien und benennen spezifische und komplexe (Ausschluss-)Erfahrungen in der Gesellschaft.

Black/Schwarz: Ist eine politische Selbstbezeichnung, deswegen wird diese immer großgeschrieben. Sie bezieht sich nicht auf ein Aussehen, sondern auf eine gemeinsame Position in der Gesellschaft und damit auch überschneidende bzw. gemeinsame Erfahrungen. Sie ist eine Bezeichnung für Schwarze Menschen, also Menschen mit afrikanischen, afrodiasporalen Bezügen. Afrodiasporal bedeutet, dass Menschen in ihrer Geschichte verwandtschaftliche Herkunftsbezüge zum afrikanischen Kontinent haben. In den USA verwenden Schwarze Menschen noch den Begriff African-American, im Deutschen Kontext existiert bezugnehmend dazu die Bezeichnung Afrodeutsche*r.

Indigenous/ Indigen: Bedeutet so viel wie „in ein Land geboren“. Die Selbstbezeichnung Indigen bezeichnet speziell die Erfahrung, durch einen rassistischen, also kolonialen Raub von Land verdrängt zu werden und deswegen auch Verfolgung, Morde oder Genozid durchleben zu müssen und auf Grund dessen bis heute unterdrückt zu werden.

Person of Colour: Verwenden Menschen, die rassistische Diskriminierungen in weißen Mehrheitsgesellschaften erfahren als gemeinsame politische Selbstbezeichnung. Die positive Verwendung des Begriffs hat ihren Ursprung in der Black-Power-Bewegung in den USA Ende der 1960er Jahre und zielt darauf ab, die unterschiedlichen Gruppen, welche Rassismus erfahren, zu vereinen, um so Kräfte zu bündeln und gemeinsam gegen Rassismus zu kämpfen. 

People of Colour wird nicht übersetzt, weil der Begriff sich nicht auf „farbig“ bezieht. Im Gegenteil, statt eines rassistischen Bezugs, versucht dieser Begriff Widerstand und Solidarität im Überleben mit Rassismus zu schaffen und bezieht sich deswegen auf die Vielfalt unserer Erfahrungen, Biografien und Herkünfte.

(Quelle: https://thelivingarchives.org/glossar/bipoc/ letzter Zugriff: 28.11.2022).

PRIVILEGIEN

Privilegien sind – je nach Kontext unterschiedlich ausgestaltete – Vorteile, die eine Person genießt. Je nachdem, welche Ausgangsprivilegien eine Person besitzt, ist es möglich, im Laufe der Zeit weitere Privilegien dazuzugewinnen – zum Beispiel ökonomische oder auch im Sinne von Bildung. Als weiße Person ist es ein Privileg, keinen Rassismus zu erfahren, als wohlhabende Person kann es ein Privileg sein, vor Armut geschützt zu sein. Besonders daran ist, dass die meisten Provilegien nicht erkämpft werden, sondern Teil der persönlichen Lebensgeschichte sind. Dadurch erscheinen sie denjenigen, die sie genießen, oft selbstverständlich. 

(Quelle: Nadia Shehadeh: https://missy-magazine.de/blog/2017/08/01/hae-was-heisst-denn-privilegien/ (letzter Zugriff: 01.8.19.)

RASSISMUS

Rassismus ist eine Ideologie der Unterdrückung und wurde im Zuge des Kolonialismus und Versklavungshandels hervorgebracht. Er fußt auf einer „Rangordnung“ von Menschen, die von biologischen und/oder von Kulturalisierung informierten „Kriterien“ unterlegt ist. Rassistische Argumentationen dienen dazu, Machtverhältnisse zu legitimieren. Sie sichern Privilegien der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft. Rassismus hat verschiedene Formen, wobei Othering eine zentrale Rolle spielt. Er wirkt strukturell, institutionell und alltäglich, wird aber häufig verleugnet. Rassismus verhindert die gleichberechtigte Partizipation von Black und People of Color (BPoC). 

(Quelle: Amadeu-Antonio-Stiftung, Glossar: Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, 2014, www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/juan-faecher.pdf, S. 8., letzter Zugriff: 01.8.19.)

RASSISMUSKRITIK

Rassismuskritik heißt: zum Thema machen, in welcher Weise, unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen Selbstverständnisse, Handlungsweisen und das Handlungsvermögen von Individuen, Gruppen und Institutionen durch Rassismen vermittelt sind. Rassismuskritik als eine Haltung und als eine Praxis sucht nach Veränderungsperspektiven und alternativen Selbstverständnissen und Handlungsweisen, von denen weniger Gewalt ausgeht.

(Quelle: Linnemann, Tobias; Mecheril, Paul; Nikolenko, Anna (2013): Rassismuskritik. Begriffliche Grundlagen und Handlungsperspektiven in der politischen Bildung. ZEP : Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 36 (2013) 2, S. 11.)

SAFE SPACES (GESCHÜTZTE RÄUME)

Unter der Bezeichnung „safe spaces“  bzw. „geschützte Räume“ ist die temporäre Konstituierung eines zielgruppenspezifischen und politischen Kommunikationsortes zu verstehen. Dieser stellt für Menschen, die von Marginalisierung oder (rassistischer) Diskriminierung betroffen sind, einen sicheren und schützenden Rahmen dar, um individuelle Erfahrungen und Verstrickungen mit Gewalt und  Unterdrückung im Kontext von Rassismen und (Mehrfach)Diskriminierung im Gruppenprozess zu thematisieren. Es geht dabei darum aus diesem kritischen Reflexions und Lernprozess heraus individuellgesellschaftliche Veränderungen zu bewirken bzw. Optionen für ein anderes Denken, Handeln und Zusammenleben zu schaffen. 

(Quelle: Empowerment aus der People-of-Color-Perspektive: https://www.eccar.info/sites/default/files/document/empowerment_webbroschuere_barrierefrei.pdf (letzter Zugriff: 01.8.19.)

SCHWARZ

Schwarz ist eine Selbstbezeichnung und wird immer groß geschrieben. Der Begriff markiert eine von Rassismus betroffene gesellschaftliche Position. 

Er wird seit den 1980er Jahren verwendet und ist ein Ergebnis der Kämpfe der Schwarzen deutschen Frauen/Bewegung. Damit wurde der Grundstein für eigenständige Schwarze Räume und die Selbstorganisation Schwarzer Communitys in Deutschland gelegt. Ein im Zuge dessen entstandenes Selbstverständnis drückt sich heute in einem umfangreichen politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Schaffen aus. Die Selbstbezeichnung ist ebenfalls ein entscheidender Schritt für Prozesse der individuellen und gesellschaftlichen Dekolonisierung. 

(Quelle: Amadeu-Antonio-Stiftung, Glossar: Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, 2014, www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/juan-faecher.pdf, S. 14., letzter Zugriff: 01.8.19.)

VERBÜNDETENPRINZIP

Verbündete sind Menschen, die zu privilegierten sozialen Gruppen gehören und ihre soziale Macht nutzen, um sich gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung nicht privilegierter Menschen einzusetzen.

(Quelle: Jonas Lang: https://www.lvr.de/media/wwwlvrde/jugend/jugendfrderung/dokumente_74/Praesentation_Essen_20.09.18.pdf, letzter Zugriff: 01.8.19.)

WEIß

Soll Rassismus als integraler Bestandteil gesellschaftlicher Machtverhältnisse ernsthaft hinterfragt, reflektiert und überwunden werden, dann müssen sich auch diejenigen mit ihrer gesellschaftlichen Position auseinandersetzen, die nicht von Rassismus betroffen sind: die weiße Mehrheitsgesellschaft. Der Begriff weiß bezeichnet folglich keine biologischen Eigenschaften, sondern die speziellen Machterfahrungen von Menschen und Gruppen, die sich dieser Macht oft nicht bewusst sind. Weißsein ist eng an soziale, politische und kulturelle Privilegien geknüpft. 

Im Hinblick auf die Partizipation an gesellschaftlichen Ressourcen profitieren Menschen, die nicht von Rassismus oder Antisemitismus betroffen sind – und zwar unabhängig davon, wie sie persönlich zu diesen Ideologien stehen. (Quelle: Amadeu-Antonio-Stiftung, Glossar: Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, 2014, www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/juan-faecher.pdf, S. 16.)

KRITISCHES WEIßSEIN (CRITICAL WHITENESS)

Kritisches Weißsein ist ein wissenschaftlicher Forschungszweig. Er umfasst Theorien, Analysen und Begrifflichkeiten, um Weißsein kritisch zu untersuchen. Erste systematische Ansätze zur Critical Whiteness-Forschung wurden in den 1970er Jahren von Schwarzen US-Amerikaner*innen im Zuge der Bürgerrechtsbewegung entwickelt. Analysen für den hiesigen Kontext sind von deutschen Wissenschaftler*innen of Color angestoßen worden.

(Quelle: Amadeu-Antonio-Stiftung, Glossar: Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit, 2014, www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/juan-faecher.pdf, S. 22.)

Möchten Sie Kommentare oder Vorschläge zu dem Artikel abgeben? Schreiben Sie uns bitte an inhausmedia@ihaus.org.

Solidarität von weißen Menschen? 

Elizaveta Khan und Andreas Fischer: Im folgenden Einleitungstext bringen wir unsere Gedankengänge rund um Solidarität und die eigene Positionierung in Form eines Dialogs zusammen. Damit wollen wir transportieren, dass der Diskurs lebendig ist, dass wir uns streiten werden und müssen, und dass wir uns (wieder) kritisch mit Strukturen und Ungleichheiten in unserer Gesellschaft auseinandersetzen müssen, statt (nur) Meinungen auszutauschen. Vielleicht können wir dann solidarisch an einer gerechteren Gesellschaft und der Teilhabe an Ressourcen von allen arbeiten. 

Elizaveta Khan: Zunächst einmal möchte ich die Ausgangslage unserer Diskussion skizzieren. Denn wie überall gibt es auch in unserem Gesprächsraum unterschiedliche Wissensbestände und Zugänge. Worüber sprechen wir also? Rassismus ist eine unsere Welt und Gesellschaft strukturierendes Merkmal. Gewachsen ist das rassistische System in jahrhundertelanger Tradition. In dieser Tradition schufen weiße Menschen eine Welt für sich. Eine, wo Menschen, die nicht diese Hautfarbe hatten, zu einer niederen Klasse Mensch deklariert wurden. Eine Welt, wo sich weiße Menschen an Natur und Mensch bedient haben, wie sie es brauchten. Ohne Rücksicht. Wir müssen uns bewusst darüber sein und aufzeigen, dass „weiße Europäer_innen und Nordamerikaner_innen die Welt nicht nur militärisch und wirtschaftlich dominier(t)en. Sie vermittel(te)n auch kulturell ihre Perspektiven/Interpretationen und Umgangsweisen, ihr Wissen und Geschichten als wahr und überlegen” (Richter, 2015, S. 227). Und sie konnten und können bestimmen, welche Lebenswirklichkeit sichtbar wird, und somit auch relevant. Deswegen ist es so schwer über dieses System zu sprechen. Wir stecken alle drin. Und Rassismus ist überall. 

Andreas Fischer: Gerade diese historische Dimension von Rassismus fehlt allerdings häufig in den Diskussionen, was unter anderem damit zu tun hat, dass es viele ungehörte Geschichten zur Geschichte gibt und eine eurozentristische Perspektive unmarkiert als Universalgeschichte fungiert. Daraus folgt, dass die eigene Position die Erzählperspektive ist und daher die ‘Anderen’ als die ‘Anderen’ markiert werden. Daraus folgt auch, dass Rassismus nicht nur auf individueller Ebene wirksam ist, sondern aufgrund der Geschichte strukturell und institutionell verankert ist. Ich bin auch rassistisch sozialisiert und daran gewöhnt, aus einer weißen Norm heraus zu denken, und unreflektiert Kategorien zur Bezeichnung ‘Anderer’ zu benutzen; auch in Kontexten, in denen eigentlich Individuen im Mittelpunkt stehen sollten. Auch kenne ich viele widerständige nicht-eurozentristische Narrative und Stimmen nicht, die einen anderen Blick auf die Geschichte ermöglichen würden. Ich nehme die Möglichkeit, diesen Stimmen Gehör zu schenken nicht wahr, weil meine Welt auch so funktioniert. 

Elizaveta Khan: Sich damit auseinanderzusetzen ist also ein aktiver Akt. Und ich frage mich, warum weiße Menschen solche Probleme damit haben, wenn sie weiß genannt werden? Es gibt keine Probleme, sich solche Begriffskonstrukte wie „Mensch mit Migrationshintergrund” auszudenken, und all die anderen Begriffe für die Menschen, die nicht weiß sind, die an sich ja nur eins beschreiben: Wir sind nicht gleich (viel wert). Und es gibt Unterschiede. Es gibt keine Welt, die, sowohl in der Vorstellung als auch in der Realität, nicht geprägt ist. Und zwar durch Geschlechter, Geschlechtsidentitäten, Klasse, Ethnizität, Hautfarben, Hintergründe – nur um einige zu nennen. Es gibt oft so eine Verteidigungshaltung, wenn weiße Personen als weiß markiert werden. 

Andreas Fischer: Es ist ungewohnt und beschämend, sich der eigenen Position und des Teilhabens am ‘Benennen’ bewusst zu werden. Es ist schwierig, diese Scham anzunehmen und produktiv werden zu lassen. Oftmals liegt eine Verteidigung oder ein Gegenangriff näher, um den positiven Selbstbezug zu erhalten, statt sich mit der eigenen Position in gesellschaftlichen Strukturen auseinanderzusetzen. 

Elizaveta Khan: Bei der Selbstbezeichnung können weiße Menschen also viel von uns, People of Colour, lernen. Wir, People of Colour, sind es ja gewohnt, bezeichnet zu werden, diese Erfahrung können wir teilen. Es ist ja auch ein Akt der Selbstermächtigung im Sinne von Selbsterkenntnis, und vielleicht eine Art neue Aufklärung – bei der dann alle mitmachen können.

Andreas Fischer: Und ich glaube genau das ist in vielerlei Hinsicht wichtig: Zuhören und bestehen lassen und weniger entweder oder, sondern mehr sowohl als auch zuzulassen. 

Elizaveta Khan: Meine Theorie ist ja: Wir, vor allem wir weiße Menschen, wollen alle gut sein. Es darf keine Ungleichheiten geben, denn das ist nicht gut. Wir wollen keine Unterschiede zwischen Hautfarben, Geschlechtern etc. haben. Und deswegen wehren wir uns so gegen die Benennungen. Denn natürlich sind wir nicht gleich, es gibt keine Chancengerechtigkeit. Und das ist kein Schreckensszenario, das sind wissenschaftliche Erkenntnisse. 

Andreas Fischer: Auch wenn unser aller Ziel Chancengerechtigkeit ist, müssen wir auf dem Weg dorthin zunächst bestehende Ungleichheiten benennen und sichtbar machen. Wir müssen den Fokus auf unterschiedliche Lebenswirklichkeiten legen und negativ von Rassismus betroffene Menschen in die Position des Sprechens und des Gestaltens bringen. 

Elizaveta Khan: Und solange wir bestehende Ungleichheiten nicht benennen, sondern nur die Menschen bezeichnen, die davon negativ oder positiv betroffen sind, wird sich auch nichts ändern. Denn am Ende geht es um das Teilen. Um das Teilen von Ressourcen, aber vor allem um das Teilen von Wissens- und Deutungsmacht. Und deswegen ist der erste Schritt das Benennen und die Positionierung. Die Arbeitshilfe soll Anregungen dazu geben das oft nicht Markierte zu markieren: den weißen Menschen und was es bedeutet als weißer Mensch in dieser Gesellschaft aufzuwachsen und zu leben. 

Andreas Fischer: Hinzuzufügen ist vor allem der Raum für die Reflexion und der Austausch darüber. 

Elizaveta Khan: Und das ist alles so komplex und wirkmächtig, und gegen unsere gewohnte Art nicht lösungsorientiert. Deswegen sind Räume zum Denken und Fühlen wichtig. Und ich denke, wir können den Begriff der weißen Positionierung nutzen, um diese Privilegien, die damit zusammenhängen, zu verdeutlichen. Und es darf natürlich nicht bei der Reflexion bleiben, es muss zum Handeln kommen. 

Andreas Fischer: Es geht also nicht nur darum, sich diese Verstrickungen bewusst zu machen, sondern machtbewusst zu handeln; die eigenen Privilegien für einen strukturellen Wandel zu nutzen und Räume zu schaffen.

In-Haus braucht Unterstützung

Liebe alle,
schon zu Beginn haben wir als InHaus immer versucht, unkonventionelle Wege der Unterstützung zu gehen, um Menschen zu unterstützen.
Sei es beim Spracherwerb, sei es in verschiedenen Alltagsfragen und beim Ankommen in Köln, Arbeits- und Wohnungssuchen oder bei der Umsetzung eigener Projekte und Aktionen und die Nutzung unseres KnowHow und unserer Räumlichkeiten
Wir haben nun schon seit über 12 Jahre es geschafft, in einem Fördersystem im Sinne des liberalen Wirtschaftsverständnisses von Sozialer Arbeit, Menschenrechtsorientierung und der Motivation, gute Arbeitsplätze- und Bedingungen für alle zu schaffen, zu bestehen. Und wir haben es in diesem Jahr zum ersten Mal auch geschafft, Personalmittel für drei Stellen über ein Projekt zumindest für einen Zeitraum von über 12 Monaten zu erhalten.  Es ist uns unser Anliegen und unsere Motor, sowohl nach außen als auch nach innen unsere Leitwerte zu vertreten, und nicht nur mit Worten. 
Doch nun sind wir an unsere Grenzen gekommen. Sicherlich bedingt auch durch die Pandemie, aber auch bedingt dadurch, dass wir es in den 12 Jahren nicht geschafft haben, in die Strukturförderung reinzukommen, um unsere Arbeit ausreichend in eine sicherere finanzielle Lage zu organisieren. Gleichzeitig können wir als gemeinnütziger Verein rechtlich aber auch faktisch keine großen Rücklagen bilden, sondern sind darauf angewiesen, dass wir immer wieder auch neue Projekte an den Start bringen, die aber wiederum eine Struktur benötigen, die wir aus Eigenmittel bzw. dann aus anderen Projekten querfinanzieren müssen. Wenn nun Förderungen aufgrund der allgemeinen Sparmaßnahmen wegfallen, entsteht eine finanzielle Lücke, die wir aufgrund fehlender Ressourcen nicht aus eigener Kraft stemmen können. 
Es hat also verschiedene Gründe, warum wir nun in einer finanziellen Schieflage sind, vor allem eine Liquiditätskrise:

  • Die Hauptverantwortung liegt sicherlich auch in meiner Person als Geschäftsführung. Ich habe zu lange daran festgehalten, dass es mit den Förderungen im Herbst klappt, gleichzeitig habe ich bedingt durch die Mutterschaft es einfach auch zeitlich und gedanklich nicht geschafft, das InHaus in diesem Jahr in eine sicherere Lage zu bewegen. Ich hätte früher als jetzt Maßnahmen, wenn auch schmerzhafte, angehen müssen. 

Weitere Gründe sind überwiegend struktureller Natur: 

  • Wir hatten nie die Finanzmittel über, um Mitglied in einem der Wohlfahrtsverbände zu werden;
  • Unser Team ist divers, hinsichtlich Herkunft, Muttersprachen, Geschlechtsidentitäten, beruflichen Erfahrungen und formellen Abschlüssen. Für die meisten Förderprogramme sind unsere formalen Abschlüsse (noch) nicht ausreichend genug. In Kombination mit dem Kriterium, dass sich auf die meisten Förderprogramme mit struktureller Förderung “nur” Wohlfahrtsverbände und ihre Mitgliedsvereine bewerben können, haben wir diese Möglichkeit noch nicht für uns aufbauen können. 
  • Wir sind immer sorgsam mit den Förderungen umgegangen, und haben aus einem Fördereuro das Vierfache geschaffen, nicht nur im Sinne darauf aufbauender Projekte mit entsprechenden zusätzlichen Mitteln, sondern vor allem durch unsere Arbeit. Zahlreiche Menschen haben bei uns Deutsch gelernt, mit unserer Unterstützung Ausbildungsplätze und Arbeit gefunden und engagierten und engagieren sich für ein gerechtes Miteinander. Vor allem aber haben wir es in den meisten Fällen geschafft, Menschen für die Zeit, in der sie an verschiedenen Angebote bei uns teilnehmen, ein guter, sorgsamer, freundlicher und fröhlicher Ort zu sein. Das haben wir mit unserem Team aber auch mit den vielen Engagierten geschafft, und das ist leider im finanziellen Sinne nicht verWERTbar, bzw. erst sekundär: Aufgrund unserer menschenrechtsorientierten und menschenfreundlichen Arbeit haben wir einen sehr guten Ruf und dadurch nehmen viele Menschen unsere Angebote wahr. 
  • Wir haben unsere Angebote immer zuerst an den Menschen und erst dann an wirtschaftlichkeitsrelevanten Faktoren ausgerichtet; so haben wir zum einen immer versucht, Kursleitende in feste Arbeitsstellen einzubinden, und nicht nur Honorarkräfte zu beschäftigen, was sicherlich ziemlich selten und damit einmalig im Bereich der Integrationskurse ist. Das bedingt natürlich andere finanzielle Ressourcen und Verantwortlichkeiten, als die Beschäftigung von Honorarkräften. Weiterhin haben wir unsere Kurse aufgrund von pädagogischen und lernfördernden Erkenntnissen nie “voll” besetzt, sondern versucht eine Kursgröße zu organisieren, die ein Erlernen der Sprache in der kurzen Zeit auch tatsächlich ermöglicht. Die Prüfungsergebnisse der Teilnehmenden sprechen für sich, und wir haben einen sehr guten Ruf und werden mehr angefragt, als wir umsetzen können. Und Qualität hat ihren Preis, was gerade im Bereich der Integrationskurse leider viel zu wenig bedacht wird. 
  • Es war uns ist uns immer ein Anliegen gewesen, eine kursbegleitende Kinderbetreuung anzubieten. Das schaffen wir nun seit mehreren Jahren an 12 Stunden pro Tag. Die pauschale Förderung bedingt aber eher schlechte als gute Arbeitsbedingungen für das Personal, und damit aber auch für die Qualität der Betreuung. Und deswegen ist unser Kinderbetreuungspersonal ebenso nicht als Honorarkräfte beschäftigt, sondern als festes Personal.
  • Insgesamt sind viel aus unserem Team auch darauf angewiesen, dass es feste Stellen sind, da die meisten von uns keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, weswegen der Aufenthalt von uns auch von diesen Arbeitsstellen abhängt. 


Was bedeutet das nun?

Wir brauchen Unterstützung, um unsere Liquiditätslücke zu überbrücken und auch um uns etwas Zeit zu verschaffen, um Bedingungen für eine stabilere finanzielle Lage zu schaffen. Unter anderem möchten wir unser digitales Angebot im Bereich Deutschkurse ausweiten. Trotz der repressiven Stimmung in Bezug auf Migration, werden Menschen Deutschland als neuen Lebensmittelpunkt wählen und lernen vermehrt auch im Ausland über online Angebote die deutsche Sprache. Wir sehen darin einen Baustein der Finanzierung unserer Arbeit und möchten das Angebot aufbauen. Weiterhin stehen nun die Antragsmonate an, so dass wir viel Energie darauf verwenden müssen, um uns um die Mittel, die noch zur Verfügung stehen, zu bewerben. Dazu brauchen wir etwas Zeit und Ruhe. Selbstverständlich haben wir auch schon andere Instrumente in Gang gesetzt, um die Finanzlücke zu schließen, aber wir schaffen es nicht alleine. 


Deswegen suchen wir Unterstützung in Form von Menschen, die uns in den folgenden drei Monaten: 

  • Oktober 2023
  • November 2023
  • Dezember 2023

am besten jeweils zum 15. des Monats 60 € oder mehr als freie Spende auf diese Bankverbindung zukommen lassen: 

Unsere Bankverbindung:

Integrationshaus e.V.

Bank für Sozialwirtschaft

DE76 3702 0500 0001 2489 00

  • Die Spenden sind steuerlich absetzbar, bis 300,00 € braucht es auch keine Formulare, das Finanzamt braucht nur bei Nachfragen einen Kontoauszug. 

Oder Via PayPal:

Wir freuen uns, wenn Ihr uns unterstützen könnt und unser Anliegen in Euren Kreisen teilt! 

Mit herzlichem Dank und mit Powergrüßen

Eure Lisa

Jonas Linnebank

Seine Freunde in Berlin würden schon feiern, während er noch da saß und Tagebuch schrieb. Würden sie über ihn reden? Was würden sie erzählen? Vielleicht würden sie ihn wie sein wächsernes Ebenbild beschreiben, das bei ihm in der Berliner Wohnung stand: Lebemann, Abenteurer, Mann von Welt. Die meisten Besucher mochten seine extrovertierte Art. Entsprechend hatte er seinen Wachs-Doppelgänger gekleidet,   mit dem Säbel im Stoffgürtel und dem Tropenhut auf dem Haupt, umgeben von den exotischen Errungenschaften, in denen die meisten Gäste nicht die touristische Massenware von Souvenierhändlern erkannten, sondern Kostbarkeiten sahen. Wer wollte schon ahnen, dass die glänzende Tröte, zum Beispiel, nur aus Kupfer war, eine Replica, die er von einem hässlichen Hindu geschenkt bekommen hatte? Der hatte ihm seinerseits stolz eine vom Kaiser persönlich signierte Fotographie unter die Nase gehalten, von der jener wiederum nicht wusste, dass es sich dabein nur eines von vielen tausenden Exemplaren handelte.

Es freute ihn, wenn Kollegen, die ähnlich weit gereist waren wie er, mit ignoranten Gästen darüber fachsimpelten, zu welchem Zweck dieser Gegenstand, für welchen Ritus wohl jener gebraucht worden war. Trafen seine Blicke auf diejenigen der Mitwissenden, so zwinkerte er ihnen zu und sie grinsten ironisch zurück, und beiden Parteien war klar, dass da mal wieder jemand zu viele fantastische Schundromane über die Neue Welt gelesen hatte. 

Er unterbrach sich. Zurück zum Tagebuch. Die letzten Tage auf See waren stürmisch gewesen. Heute gab es endlich wieder die Möglichkeit in Ruhe das Tintenfass aufzustellen und Notizen zu machen. Er dachte an den leeren Laderaum dieses Schiffes und den tiefliegenden Kiel des anderen, das sich gerade auf dem Weg in Richtung Heimat befand. Zum Glück kümmerte sich der Papá um die logistische und finanzielle Abwicklung. Die ethnologische Auswertung würde er später anhand seiner Einträge selbst besorgen. Er hatte die passenden Papiere schon mitgeschickt. 

Jetzt musste er noch weiter. Es galt keine Zeit zu verlieren. Er wusste, dass Neues nur so lange als ungewohnt empfunden wurde, bis es selbst Teil des Alltags geworden war. Sobald sie zur Massenware verkommen sein würden, ließe sich aus all den Stücken, für die die leeren Transportboxen unter Deck bestimmt waren, weniger Ertrag erzielen, ganz egal, ob es sich dabei um ideelle Werte wie seinen persönlichen Ruhm handelte oder um die einfachen, handfesten, den schnöden, aber leider nötigen Mammon. Es ging um Schnelligkeit, mit der die Konkurrenz auszustechen war, und um Menge, um die schiere Quantität. Er wusste das. Und er war bereit, dafür Opfer in Kauf zu nehmen: „Was ich mir nicht kaufen kann, das nehme ich mir – irgendwie immer“ war sein von Vielen geliebter Dinnergag, zu dem natürlich auch er schmunzelte – stets wissend, wie brutal ernst es ihm mit dieser Angelegenheit war. 

Ja, es galt an die Zukunft zu denken. Noch war er  körperlich tauglich und unversehrt, aber was würde in zehn Jahren sein? Was wäre, wenn ihm etwas zustieße, er sich verletzte, wenn er sich mit irgendeiner unbekannten Tropenkrankheit ansteckte, mit der die europäische Medizin noch nichts anfangen konnte? Wenn er so ein Krüppel würde, wie der auf dem Schiff umherschlurfende Maat, der ihm hinterherzuschnüffeln schien und ihm immer genau dann, wenn er gerade überhaupt keine Lust auf Gespräche hatte, Belanglosigkeiten erzählte, wie dass er selbst mal ein wissenschaftliches Seminar besucht habe und sich ein bisschen auskenne in der Thematik. Was erlaubte sich dieser Kerl? Um sich endgültig von dieser Art Mensch abzugrenzen, brauchte er recht bald den Doktor, besser noch die Habilitation. Die Aufnahme in die Berliner Gesellschaft war ein guter Anfang, aber es brauchte mehr: Mehr Objekte, mehr Notizen, Ahnungen, Beobachtungen, Statistiken und Tabellen, denn nur Wissen schafft Wissenschaft. Ansonsten blieb man irgendwann im Dazwischen hängen, blieb für immer gescheiterter Student, ehemaliger Globetrotter. 

Er war froh, sich den hinkenden Maat und seine gescheiterte Existenz im nächsten Hafen vom Leibe halten zu können. Trotz der harten Arbeit gab es noch etwas zu erleben. Er war schließlich im Krieg gewesen, zwei mal, in Frankreich, im Orient, und wie jeder Soldat, wie jeder tüchtige Seemann, freute er sich jetzt schon auf die Frauenzimmer, die schwarzen, braunen und gelben, die es in Europa so nicht gab. Da gab es nur die gewöhnlichen Mädchen und davon hatte er genug gehabt, beinahe zu viele gekannt, vor allem in Berlin. Man war ein Esel in Europa zu leben, teuer und hatte absolut nichts. Wer würde dieser Behauptung ernsthaft widersprechen wollen? 

Er brauchte etwas Besonderes für seine Sammlung. Die Mädchen aus Berlin sollten in Berlin bleiben und die Blechsouvenirs an seinen Wänden bestaunen. Er wollte die besonderen, perlenbehangenden, in Kostümen, die noch nie jemand gesehen hatte, geschminkt und tätowiert wie es keine Europäerin war. Er wollte keine Massenware. Ihm fiel auf, dass die Frauen nicht viel anders waren als die übrigen Teile seiner Sammlung: Manche kostbarer und besser als andere, manche Ramschware für billig-neureiche Touristen. Wenngleich seine Frau das nicht verstand, aber wie sollte sie auch? Das war wohl kaum ihre Aufgabe.

Das Holz des Schiffes knarzte. Der Seegang wurde anscheinend wieder heftiger. Er dachte kurz daran, endlich sein Testament zu schreiben, da es ein paar Dinge gab, die für ihn und seine Nachwelt wichtig waren, aber er verwarf den Gedanken. Er schrieb: „Der Löwe hat wieder Blut geleckt“ und fuhr sich dabei mit der Zunge über die Lippen.

Jonas Linnebank, geb. 1989 in Werl, lebt und schreibt in Köln. Er hat Germanistik und Anglistik in Köln und Salerno studiert und danach als DaZ-Dozent in der Erwachsenenbildung gearbeitet. Es ist Mitbegründer, Herausgeber und Redakteur der Kölner Literaturzeitschrift (www.kliteratur.de) und außerdem Teil des Kurator*innen-Teams des Europäischen Literaturfestivals Köln Kalk (www.elk-festival.com). In der parasitenpresse ist 2022 sein Lyrikdebüt «verlassene Hunde» erschienen.

Kontakt: jolin@posteo.de

Dieser Artikel ist Teil der Publikation: “Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums”, Weitere Infos und die vollständige Publikation finden Sie hier: Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums

Senthuran Varatharajah

Sie können den Artikel unter folgendem Link anhören: https://on.soundcloud.com/X7DaH

Alles zeigt uns –

unsere eigene Gestalt. Am 1. November 1755, um 9:40 Uhr, an Allerheiligen, am Tag, an dem der verherrlichten Glieder der Kirche, die schon zur Vollendung gelangt sind, gedacht wird, der bekannten wie auch der unbekannten, wurde Lissabon fast vollständig zerstört. Das große Erdbeben von Lissabon, wie es in den Geschichtsbüchern später genannt wurde, spaltete erst den Boden, die Erde und den Stein, bevor die Stadt zu brennen anfing. Am Hafen wich das Meer zurück, so weit, dass die Reste, das, was das Wasser zurückließ, sichtbar geworden war; das beschädigte Holz und die in einer handvoll Minuten nutzlos gewordenen Schiffe, die Ware aus den portugiesischen Kolonien und die Wracks von dem, worin sie einmal lagen: auf dem Seeboden, verstreut. 40 Minuten nach dem Erdbeben überflutete ein Tsunami die Stadt. Von den 275.000 Einwohner*innen Lissabons starben an diesem Tag 30.000 bis 100.000. Dieses Erdbeben war ein Bruch. Es verlangte eine andere Antwort auf die Frage nach der Theodizee, also nach der Güte und Gerechtigkeit Gottes, als die, die Leibniz ihr 1714 in seiner Monadologie gab, und die die Philosophie in den 41 Jahren danach bestimmte. Leibniz bezeichnete unsere Welt als die beste aller möglichen Welten; keine andere Welt sei mit Gottes unendlicher Weisheit und Allmacht vereinbar. Diese Antwort schien jetzt, da eine europäische Stadt, zumal eine streng katholische, von der aus das europäische Christentum in den portugiesischen Kolonien verbreitet wurde, an einem christlichen Feiertag von einer Naturkatastrophe beinahe ausgelöscht worden war, ihre Plausibilität verloren zu haben. Nur Europa konnte daran glauben, dass diese Welt, in der wir leben, die Welt, die Europa nach seinem Willen und nach seinem Ebenbild erschaffen hat, die bestmöglichste sein muss; bis Europa nicht mehr daran glaubte. Bis Europa zu zweifeln begann. Der Gott Europas – hat Europa verlassen. Der Gott Europas – war ein Gott der Gewalt. Der Gott Europas – ist ein Monstrum. 

Eine Monstranz ist ein liturgischer Gegenstand, in dessen Fensterbereich eine konsekrierte Hostie, das Allerheiligste, bei Gottesdiensten und Prozessionen der katholischen Kirche gezeigt wird. Das Wort Monstranz leitet sich vom lateinischen Verb monstrare ab: zeigen. 

Alles zeigt uns –

unsere eigene Gestalt. Am Ufer des Tejo stehen 56 Meter Stein: das Padrão dos Desco-brimentos, das Denkmal der Entdeckungen, das 1960, zum. 500. Todestages von Heinrich dem Seefahrer, der durch seine Reisen entlang der westafrikanischen Küste die portu-giesische Kolonialherrschaft begründete, von dem faschistischen Diktator António de Oliveira Salazar errichtet worden war. Von hier aus verließen die Schiffe das Land, um Handel zu betreiben, um zu Missionieren, zu Versklaven, zu Töten. Die portugiesische Eroberung des Königreichs Jaffna zum Beispiel erfolgte 1505, nachdem portugiesische Händler in das rivalisierende Königreich Kotte im Südwesten des heutigen Sri Lankas gelangt waren. Von 1597 bis 1658 gehörte Sri Lanka dem Königreich Portugals. In die-ser Zeit zerstörten die Portugiesen alle Hindutempel und die Saraswathy Mahal Biblio-thek in Nallur, in der alle literarischen Werke des Königreich Jaffnas aufbewahrt word-en waren. Die Bevölkerung Jaffnas wurde dem portugiesischen Chronisten Fernao De Queiros zufolge während dieser Epoche der Kolonialisierung, auf die 290 Jahre nieder-ländische und britische Kolonialherrschaft folgten, auf das äußerste Elend reduziert. Wo einmal Tempel standen, wurden Kirchen gebaut; die Steine warfen sie in den indischen Ozean. Der Reichtum Portugals wurde auf den Körpern brauner, Schwarzer und indi-gener Menschen errichtet. Auch in Lissabon erzählt alles davon. Alles in Lissabon zeigt darauf. Jeder Gegenstand ist auch dort materialisierte und verdichtete Geschichte. Eine der wenigen Kirchen, die nach dem großen Erdbeben in Lissabon noch stand, war die Catedral Sé Patriarcal, die Kathedrale des Patriarchats von Lissabon. 

In ihr steht, hinter Panzerglas, eine 17 Kg schwere und 90 cm hohe Monstranz, die von König Joseph I. in Auftrag gegeben worden war, und die bis heute als ein Meisterwerk der portugiesischen Schmiedekunst gilt. Sie besteht vollständig aus Gold und wird von mehr als 4100 Edelsteinen, Diamanten, Saphire, Rubinen und Smaragde verziert. Das Gold stammt aus Sri Lanka, die Edelsteine aus weiteren portugiesischen Kolonien, aus dem heutigen Mozambique, aus dem heutigen Angola, aus der Gegend, die heute Brasilien genannt wird. Das Erdbeben beschädigte auch diese Monstranz; in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde sie repariert und in Gottesdiensten wieder verwendet. Die Frage nach der Theodizee, die nach dem Erdbeben von Lissabon von der europäisch-en Philosophie ihrer Zeit anders beantwortet werden musste, wurde keineswegs falsch gestellt, aber von den falschen falsch beantwortet. Es ist richtig: wie konnte ein gütiger und gerechter Gott eine Zerstörung von diesem Ausmaß in seiner unendlichen Weis-heit und Allmacht an Allerheiligen zulassen? Aber wir müssen weiter fragen; nachdem, was zeitlich vor dem Erdbeben lag, und was nach dem Erdbeben immer noch gleich blieb: Was für einen Gott hat sich Europa vorgestellt? Warum ist niemand auf die Idee gekommen, dieses Erdbeben vielleicht als eine Form der Strafe zu verstehen, für das, was Portugal Schwarzen, braunen und indigenen Menschen angetan hat? Was für ein gerechter und gütiger Gott will mit liturgischen Gegenständen angebetet werden, die mit ihrem Blut bezahlt worden sind? Wie konnte Gott in seiner Allwissenheit und Allmacht ihre Missionierung, ihre Versklavung und Ermordung zu lassen? Was für ein Ungeheuer hat sich Europa erschaffen? Wir kennen die Antwort. Das Wort Monstranz gibt eine Richtung vor, und eine Verantwortung, die auch Portugal immer noch nicht trägt: 

monstrare: zeigen. Monstrum: Mahnzeichen. Monere: warnen. Mahnen. Alles zeigt uns: unsere eigene Gestalt. Alles ist: verdichtete Geschichte und materialisierte Gewalt. Das, hier: das hier ist die schlechteste aller möglichen und wirklichen Welten. 

Die Welt, die Europa nach seinem Ebenbild erschuf, und die Welt, die Europa immer weiter erschafft. Wie konnte ein Gott in seiner Güte und Gerechtigkeit, in seiner Macht und Allmacht, in seiner Weisheit und Allwissenheit der europäischen Kolonialisierung der Welt tatenlos zuschauen? Diese Frage der Theodizee bleibt – unbeantwortet. Das Al-lerheilige ist keine zur Schau gestellte konsekrierte Hostie in einer Monstranz, sondern jeder einzelne Mensch. Ihn hat auch Europa entweiht. Alles in Lissabon – zeigt dieses Sakrileg. Alles in Lissabon – zeigt Lissabons koloniale Gestalt.

Senthuran Varatharajah, geboren 1984, ist Schriftsteller, Philosoph und Theologe. 2016 erschien sein Debütroman Vor der Zunahme der Zeichen im S. Fischer Verlag. Sein zweiter Roman Rot (Hunger) erschien 2022, ebenfalls bei S. Fischer. Senthuran Varatharajah lebt in Berlin.

Kontakt: Instagram: @svaratharaja | Email: varatharajah@gmx.de

Dieser Artikel ist Teil der Publikation: “Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums”, Weitere Infos und die vollständige Publikation finden Sie hier: Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums

Gisela Casimiro

Sie können den Artikel unter folgendem Link anhören: https://on.soundcloud.com/jK12e (Gelesen von Ley Ghafouri)

Anfang September reiste ich zum ersten Mal nach Deutschland, um am Europäischen Literaturfestival in Köln teilzunehmen.

Als ich mich auf dem Weg zu dem Hotel befand, in dem ich einquartiert sein würde, wurde mir schnell klar, dass ich mich in einem Stadtteil befand, dass mehrheitlich von Migrant*innen und Einwander*innen bewohnt wird. Am Veranstaltungsort angekommen, befindet sich hinter mir das Integrationshaus. Vor mir liegt das künftige Einwanderungsmuseum, dessen Eröffnung – im Idealfall – für 2023 vorgesehen ist und das im Augenblick jedoch nur aus den Überbleibseln eines alten Industriekomplex besteht. In der Mitte eine Bühne, drumherum ziehen lachende und rennende Kinder unaufhaltsam ihre Kreise auf Skateboards, Fahrrädern oder Rollern, wodurch sie den Ottmar-Pohl-Platz zum Leben erwecken.  Man hört  Deutsch, Jiddisch, Portugiesisch, Englisch, Spanisch, Ungarisch, Türkisch, Italienisch und Arabisch. Die Bänke, Sofas und Stühle sind immer voll. Dort steht die Community im Mittelpunkt, weil sie weiß, dass das Festival für sie ist. Schon die Diversität des Produktionsteams zeigt uns das. 

Dies ist die Randzone abseits vom aufpolierten und sterilen Zentrum, von Tourismus, von Glanz und von internationalem, kapitalistischem Konsum. Türkische und italienische Viertel mit ihren Cafés, Kiosken, Restaurants und stets gefüllten Friseursalons, Bürgersteige als Orte der Begegnung und des geschäftlichen Austauschs kontrastieren mit der für die Stadt typischen Kölsch-Bierfabrik, die sich in der Hauptstraße befindet, diejenige, in der auch das einzige Shoppingcenter ist, das ich sehe. Diese Stadt, ebenso wie Lissabon von einem Fluss in zwei Hälften geteilt, ist dieselbe wie die des legendären Kölnisch Wassers. Sie ist auch der Ort, an dem der nationale Konkurrent des nordamerikanischen Großkonzerns auf den Markt kam, ein Erfrischungsgetränk in eleganter Flaschenform, mit einer handgezeichneten Palme und dem Namen Afri-Cola. Ein so selbstverständlicher Teil des deutschen Alltagslebens scheint unverdächtig. 

Man fragt mich sogar, ob Afri aus Afrika kommt. Ich merke, dass ich die Leute aufgewühlt habe, dass sie nicht viel oder sogar überhaupt nicht über die Thematik nachgedacht haben. Trotzdem trinke ich eine Flasche dieses Erfrischungsgetränks ( welches das deutsche Pendant zu den “Queijadas da Casa do Preto” (dt.: Küchlein aus dem Haus des Schwarzen), den “Conguitos” (Anm.: portugiesische Schokokugeln deren Markenname auf den Kongo referiert und dessen Maskottchen ein schokobraunes Männchen mit großen Augen und dicken Lippen darstellt), den Mulatten-Keksen von den Azoren und anderen neokolonialen Lebensmitteln ist), genug, um eine Geschichte erzählen zu können, während ich feststelle, dass sie zudem auch noch teurer ist als die klassische Coca-Cola. 

Ich lernte Afri-Cola durch eine Installation der Künstlerin Tatiana Macedo kennen, eine Arbeit, die Teil der Sammlung des Alteliér-Museum Júlio-Pomar in Lissabon ist. Afri-Cola ist ein Getränk, das vielleicht die Illusion von tropicalismo, von afrikanischen Träumen mit orangefarbenen, gelben und roten Sonnenuntergänge  vermitteln soll, wer weiß, ob am Ende eines langen Tages der Safari, schließlich wurde in der Kolonialzeit nicht zwischen Menschen- und Tiersafaris unterschieden. Von Natur aus kommen Palmen in Deutschland  nicht vor und die Orte, an denen sie zu finden sind, sind rar, wenn man von der kolonialistischen Phantasiewelt absieht, die noch immer besteht, obwohl Deutschland ein Reiseziel für viele Menschen aus anderen Ländern ist. 

So zum Beispiel ist es der Fall bei Mpenzi, eine*r Aktivist*in für LGBTQIA+ Rechte aus Kenia, welche*n ich auf dem Festival kennenlerne und welche*r mir als migrierte Person von ihren Erfahrungen in Spanien und Deutschland erzählt. Wir befreundeten uns. 

Mit Mpenzi besuche ich das Museum, in dem ich einen Teil der berühmten beninischen Bronzestatuen vorfinde, die von so vielen Ländern geplündert und jahrhundertelang in ihren Sammlungen aufbewahrt wurden, und an den angrenzenden Wänden der Katalog mit Beschreibung, Anzahl, Gewicht und Maßen, die Methode, nach der jedes Artefakt ins Museum gelangt ist. Ein Gefühl der Unruhe, des Erstaunens und der Bitterkeit überkommt mich: Sie sind schön und beeindruckend, aber wenn ich sie sehen kann, dann nur, weil jemand an dem Ort, wo die Kunstwerke herkommen, dies nicht tun kann. Es ist die Eintrittskarte für ein sehr teures Museum, das uns dazu verpflichtet, Kontinente zu durchqueren, um das zu sehen, was unsere Vorfahren geschaffen, berührt und sogar gesegnet haben. 

Ich lebe in Lissabon, wo einerseits bald eine Gedenkstätte zu Ehren der Menschen, die in Sklaverei leben mussten, errichtet wird und wo andererseits die Idee noch nicht aufgegeben wurde, ein Museums der Entdeckungsreisen zu bauen. Um es den Einen nach wie vor recht zu machen, immer zu Lasten von Anderen, gleichsam um eine anachronistische Kohärenz mit der heutigen Zeit aufrechtzuerhalten, tragen die Straßen in meinem derzeitigen Viertel Penha de França noch immer Namen wie Avenida General Roçadas, Neves-Ferreira-Straße oder Avenida Mouzinho de Albuquerque, Militärs und Gouverneure aus den unterschiedlichen Teilen des portugiesischen Kolonialreichs, als welches es damals von Indien über den Kongo bis nach Angola und Mosambik bekannt war. 

Bei meinem Besuch im Ethnographischen Museum Rautenstrauch- Joest war ich wenig überrascht, als ich feststellte, dass das Werk, das die Ausstellung «Resist! Die Kunst des Widerstands» eröffnet, eine RTP (Anm.: öffentlich rechtlicher portugiesischer Fernsehsender) -Doku ist, ein Video von Mai 1975, in dem Mosambikaner*innen das Reiterstandbild von Mouzinho de Albuquerque entfernen. In Dauerschleife abgespielt, scheint diese dort in Ruhe ausgeführte Aktion, ohne für uns hörbaren Ton, mit Zeit und Gründlichkeit, noch bis heute nachzuhallen. Gerechtigkeit geht nicht immer mit Gelassenheit einher, aber wenn sie es tut, ist es wirklich etwas Wunderbares. Was wir heute in der ganzen Welt als Vandalismus und Rebellion berichtet sehen, ist einfach nur Gemeinsinn, es ist Kampf, es ist Selbstsorge, es ist das Volk, das entscheidet, was das Beste für es ist, es ist eine Weisheit, die immer da war, es ist die Wiederherstellung des gesellschaftlichen Gleichgewichts.

Das Rautenstrauch-Joest gab 2018 wertvolle Stücke der Maori-Kultur an ihre rechtmäßigen Besitzer zurück. Dieses Museum, welches bereits 120 Jahre alt ist, beherbergt heute eine Ausstellung, in der ich von den verschiedensten Widerstandskämpfen erfahre, die geografisch und chronologisch von Indien über Brasilien bis zu den Roma führen. Allerdings trinke ich auch in der Museumsbar die bereits erwähnte Afri-Cola, ein Objekt, das sich rechnet, weil es beleidigend und kolonial ist und ausgeklammert wird, als ob die guten Erinnerungen, die es noch heute auslöst, unantastbar wären. In der Ausstellung finde ich Persönlichkeiten wie Mandela, Lumumba, Ghandi, Dalai Lama und Túpac Amaru II. Ich sehe Werke von vielen Künstler*innen, wie Małgorzata Mirga- Tas, Grada Kilomba, Selma Selman, Kara Walker, Emilia Rigová und Omar Victor Diop, dem wohl namhaftesten Künstler. 

Sowohl Mpenzi als auch ich waren mehrfach gerührt, ergriffen und erschüttert. Es gibt Raum für eine antirassistische Bibliothek, die der öffentlichen Nutzung zugänglich ist, eine Station, an der man Widerstandsmusik hören kann, verschiedene Fragen, die wir beantworten können, ausreichend Material, um aufzuschreiben, was wir wissen wollen, was uns umtreibt, was wir noch brauchen. Es gibt Kopien aller Texte in zweisprachiger Ausgabe, es gibt Trigger-Warnungen, es gibt eine gewisse Achtsamkeit gegenüber den Besucher*innen, denn es wird davon ausgegangen, dass nicht nur weiße Menschen dieses Museum besuchen werden.

Es kann nicht um uns gehen, ohne uns, daran erinnern uns die Ausstellungswände bei jedem Schritt. Damit es um uns geht, müssen wir unsere Geschichte selbst erzählen, und raten Sie nur, in dieser sind wir die Protagonist*innen. Wir müssen vor allem zeigen, wie wir uns selbst sehen und wie wir wirklich sind. Wisset, dass wir viel mehr sind als das, was ihr aus uns gemacht habt. Wir sind viele, wir sind diejenigen, die sich aus dem Schutt, aus der Asche, aus dem Feuer, aus den Plantagen, aus den Straßen, aus den Meeren erschaffen und wieder erschaffen haben. Wir sind für uns und für uns da. Wir kommen von überall her. Ja, sogar von hier. Vor allem von hier.

Gisela Casimiro (Guinea-Bissau, 1984) ist eine portugiesische Schriftstellerin, Künstlerin, Performerin und Aktivistin. Sie arbeitet mit verschiedenen Museen, Galerien, Theatern, Kulturverbänden, Schulen und Universitäten als Trainerin, Beraterin, Moderatorin, Sprecherin und Kuratorin zusammen. Sie veröffentlichte „Erosão“ (Gedichte) und wurde in mehreren Zeitschriften und Anthologien vorgestellt. In den letzten Jahren war sie als Kolumnistin für Hoje Macau, Buala, Contemporânea, Setenta e Quatro tätig. Casimiros Werke wurden ins Türkische, Mandarin, Deutsche, Englische und Spanische übersetzt. 

Casimiro ist Autorin und Dramaturgin des Theaterstücks „Casa com Árvores Dentro“ (2022, Regie: Cláudia Semedo, aufgeführt im Teatro Municipal Amélia Rey Colaço).

Casimiro hat an Ausstellungen in der Galeria Municipal do Porto und Lisboa sowie im Museu de Arte Contemporânea de Elvas teilgenommen und mit dem Klangstück „Aviso“ ist sie Teil der angesehenen Sammlung António Cachola. Sie war Mitglied von INMUNE und ist Mitglied von UNA – União Negra das Artes und ab 2022 Ratsmitglied der FCSH/NOVA Universität Lissabon.

Kontakt: Instagram: @giselacasimiro | Web: linktr.ee/giselacasimiro

Dieser Artikel ist Teil der Publikation: “Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums”, Weitere Infos und die vollständige Publikation finden Sie hier: Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums

Ricardo Márquez García

Zur Entstehung und Umsetzung der rassismuskritischen Führung im Rahmen des Projektes „Die Baustelle. Aus Konservierung wird Konversation“.

Die Autorin und rassismuskritische Trainerin Tupoka Ogette inspirierte mich ganz besonders bei der Vorbereitung der rassismuskritischen Führung durch die Dauerausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM). Ihre Worte, vor allem ihre Metaphern sind stark und eindeutig. Sie macht in ihren Schriften deutlich, dass es keine rassismusfreien Räume gibt. Rassismus sei wie Smog, den wir alle einatmen, ob wir es wollen oder nicht. Entsprechend sind wir alle rassistisch sozialisiert und wenn wir uns nicht darüber bewusstwerden und dagegen arbeiten, reproduzieren wir rassistische Einstellungen. Meist unbewusst. Denn Rassismus sei nicht nur in der ‚rechten Ecke‘ zu finden, sondern spiele sich überall ab. 

Mit diesen und weiteren Impulsen und meinen eigenen Diskriminierungserfahrungen als nicht-weißer Mensch in Deutschland machte ich mich an die Aufgabe, die Dauerausstellung des RJM rassismuskritisch zu lesen und eine Führung zu konzipieren. Schnell wurde mir klar, dass es sehr viele Stellen zu thematisieren gäbe, weswegen ich mich auf einige Beispiele konzentrierte. Das Vorgehen lässt sich aber auf die ganze Ausstellung anwenden und folgt den Fragen: Was wird gezeigt bzw. präsentiert? Was wird nicht präsentiert? Inwiefern handelt es sich um eine Repräsentation, die Rassismus reproduziert? Welche alternativen rassismuskritischen Darstellungsformen gibt es?

Einer der ersten Räume der Ausstellung, ‚Begegnung und Aneignung‘ genannt, ist sehr kritisch zu betrachten und bietet sehr viele Stellen, die sich aus einer rassimuskritischen Perspektive bemängeln lassen. Oder um es in den Worten einer sehr reflektierten Besucherin zu artikulieren: Viele der dortigen Darstellungen sind fahrlässig, denn sie reproduzieren Rassismus in unterschiedlichsten Formen. Im Raum wird man von zwei weißen Männern (Wilhelm Joest und Max von Oppenheim) empfangen, die als zentrale Figuren für die Gründung des Museums absolut unkritisch präsentiert werden. 

Ihre Privilegien als weiße Männer Ende des 19. Jahrhunderts werden nicht erwähnt, sondern ihre Taten als Sammler, Reisende und Wissenschaftler als persönliche Errungenschaften präsentiert. Der Ursprung von Joests Familienreichtum, z.B., im Tauschhandel von Eisenwaren aus deutschen Ländern gegen Zucker aus lateinamerikanischen Ländern zu einer Zeit, in der die Sklaverei als legale Institution auf Kuba und in Brasilien noch bestand, findet keine Erwähnung. Zudem geben unkritische Portraits von weiteren historischen Akteuren wie Christoph Kolumbus oder Gustav Nachtigal ein romantisierendes Bild europäischer kolonialer Unternehmungen wieder. 

Mit ergänzenden Informationen und Originalzitaten (u.a. von Gegenstimmen) versuche ich zu verdeutlichen, dass die jeweilige Darstellung der Person nicht die einzig mögliche ist und sie in ihrer aktuellen Form Rassimus re(-produziert). Denn weiße Menschen, die für die Versklavung, Ermordung, Enteignung und Vertreibung von nicht-weißen Menschen verantwortlich waren, werden hier wie Helden gefeiert. Die kritischen und widerständigen Stimmen nicht-weißer Menschen wurden ausgelassen, wodurch ihre vermeintliche Passivität und Unterlegenheit fälschlicherweise bestätigt wird. An diesen Stellen stinkt es stark nach Smog… 

Während der Führung gehe ich auf weitere Fälle ein, die rassistische Einstellungen der Macher:innen der Ausstellung verdeutlichen. Diese Menschen achteten nicht auf eine rassismuskritische Art der Darstellung. Sie trainierten nicht den ‚rassismuskritischen Muskel‘, um wieder die Worte von Tupoka Ogette zu benutzen. Mit alternativen Repräsentationsformen versuche ich die Besucher:innen zu ermutigen, die Ausstellung gegen den Strich zu lesen und angeblich universelles (oft rassistisches) Wissen zu hinterfragen. Das RJM unternimmt aktuell viel, um sich selbst kritisch zu reflektieren und rassismuskritische Ausstellungsformate zu fördern. Trotzdem existiert die Dauerausstellung noch teilweise, wie sie vor circa zehn Jahren konzipiert wurde. Und in dieser Form ist sie toxisch. Ich empfehle weiterhin einen Besuch mit Mund-Nasen-Schutz.  

Ricardo Márquez García

Ricardo Márquez García ist ein kolumbianischer Kulturvermittler und Wissenschaftler und lebt derzeit in Köln. Vier Jahre lang (2014-2018) lebte, forschte und lehrte er in Kamerun, zunächst in der Hauptstadt Yaoundé und dann im Westen des Landes in Dschang. Von 2020 bis 2022 arbeitete er als Juniorkurator im Rautenstrauch-Joest-Museum und seit 2021 ist er Doktorand im Exzellenzcluster «Bonn Center for Dependency and Slavery Studies». In seiner Tätigkeit als Juniorkurator koordinierte er die Sonderausstellung «RESIST! Die Kunst des Widerstands».

Kontakt: rimar27@hotmail.com

Dieser Artikel ist Teil der Publikation: “Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums”, Weitere Infos und die vollständige Publikation finden Sie hier: Guide Zur Dauerausstellung Des Rautenstrauch-Joest-Museums