Mein Name ist Dorsa Billstein. Mein Pronomen ist sie/ihr. Ich bin seit acht Jahren in der Organisations- und Projektentwicklung tätig. Ich habe den Verein Migrafrica und einige weitere migrantische Organisationen mit aufgebaut sowie langjährige Erfahrung in der Öffentlichkeits- Bildungs- und Lobbyarbeit für Nachhaltige Entwicklung. Ich hatte dabei immer einen besonderen Fokus auf Rassismuskritik und Diversität. Aktuell bin ich selbstständig als Referentin und Coachin im Bereich der diversitätssensiblen Organisations- und Projektentwicklung.
Frage: Diversity in Institutionen, das ist ein Themenschwerpunkt, ein Prozess, ein Motto, auf jeden Fall ist es nicht aus aktuellen Diskussionen rund um die Öffnung von Institutionen zu denken. Was versteht Du darunter?
Meiner Meinung nach ist Diversity in Institutionen ein kontinuierlicher Prozess, der darauf abzielt, Institutionen für Vielfalt zu öffnen. Es geht darum, eine Kultur der Akzeptanz, des Respekts und der Chancengerechtigkeit zu schaffen, in der Menschen unterschiedlicher Identitäten und Perspektiven gleichermaßen vertreten und eingebunden sind. Dabei sollte im besten Fall ein intersektoraler Entwicklungsprozess tiefgreifende Lern- und Erneuerungsprozesse in den Institutionen anstoßen. Es geht primär darum, Diversity nicht nur als einen „PR-Stunt“ zu verstehen, sondern die (Macht-) Strukturen der Institution zu analysieren, Bedarfe und Lösungsansätze mit Leitungskräften zu erörtern und gleichzeitig die Mitarbeitenden regelmäßig durch Supervision und/oder Workshops für eine rassismuskritische und diversitätssensible Arbeitsweise zu sensibilisieren.
Neben den Einstellen von Menschen mit verschiedenen Hintergründen, sollte auch sichergestellt werden, dass ihre Stimmen gehört und geschätzt werden. Das erfordert viel Engagement, Bewusstsein, Fortbildungen, Ressourcen und Veränderungen in Strukturen und Kulturen.
Frage: Welche Schritte sind aus Deiner Perspektive einer diversitätsbewussten Öffnung von Institutionen notwendig, welche hilfreich, welche nicht so hilfreich, und welche (überhaupt) nicht sinnvoll?
Ich denke, dass für die diversitätsbewusste Öffnung von Institutionen fortlaufende Fortbildungen der Mitarbeitenden zu diversitätssensibler und rassismuskritischer Arbeitsweise nicht wegzudenken sind. Dabei reicht es nicht aus, einen freiwilligen Workshop zu machen. Wie schon erwähnt ist eine diversitätsbewusste Öffnung von Institutionen ein fortlaufender Prozess. Es bedarf daher fortlaufender Sensibilisierungsmaßnahmen in Form von Workshops und/oder Supervisionen für die Mitarbeitenden. Dabei ist das Vermitteln von der Bedeutung von Diversität, Inklusion und einem rassismuskritischen Blick ein wichtiger erster Schritt. Die Maßnahmen sollten meiner Meinung nach nicht freiwillig sein, denn so läuft man Gefahr, dass die Menschen, welche die Maßnahme am meisten brauchen, das Angebot nicht wahrnehmen. Mir ist klar, dass sich das in der Praxis schwierig gestaltet, aber ich halte es, auch zum Schutz der Mitarbeitenden, die z.B. negativ von Rassismus betroffen sind, für absolut notwendig. Außerdem habe ich in der Praxis beobachtet, dass oft verpflichtende Fortbildungen existieren. Also warum nicht auch zu diversitätssensibler und rassismuskritischer Arbeitsweise.
Dann ist die Auswahl einer vielfältigen Belegschaft sehr wichtig. Die Institutionen sollten ihre Rekrutierungs- und Auswahlverfahren überprüfen und anpassen. Mittlerweile betonen viele Institutionen in ihren Ausschreibungen, dass „Bewerbungen von Menschen mit Migrationsgeschichte willkommen sind“, jedoch reicht das meines Erachtens nicht aus. Es sollten bei den erforderlichen Qualifikationen auch bspw. Vielfaltskompetenzen genannt werden. Auch beim internen Rekrutieren ist es wichtig diversitätssensible Mentoringprogramme für Führungskräfte oder Netzwerke zu haben. Dabei sollte eine vielfältige Belegschaft auch nicht nur der Außendarstellung dienen. Die Institutionen sollten aktiv die Chancengerechtigkeit fördern und einen sicheren Arbeitsplatz für alle schaffen. Es sollten klare Richtlinien und Beschwerdeinstanzen gegen Diskriminierung und Belästigung entwickelt werden und alle Mitarbeitenden sollten aktiv an der Schaffung einer inklusiven Arbeitsumgebung arbeiten.
Es kann auch sehr hilfreich sein, klare Ziele und Maßnahmen zur Förderung von Diversität und Inklusion festzulegen.
Die Institutionen sollten durch externe Unterstützung durch den Entwicklungsprozess begleitet werden. Es sollten auch unterschiedliche Perspektiven bspw. aus der Zivilgesellschaft mit in den Prozess eingebunden werden. Eine professionelle Betrachtung von außen ist wichtig für einen unvoreingenommen, klaren Blick auf die Strukturen und Herausforderungen. Dafür sollten ausreichend Ressourcen bereitgestellt werden.
Dann finde ich es wichtig, dass Institutionen über eine bloße Symbolik hinausgehen. Das bloße Aufhängen von Plakaten oder das Veröffentlichen von Erklärungen reicht nicht aus. Es müssen konkrete Maßnahmen ergriffen werden, um Diversität und Inklusion in allen Bereichen der Institution zu fördern.
Frage: Aus Deinen Erfahrungen, Wissen, Expertise heraus: und Welche Lern- und Veränderungsprozesse wurden in Bezug auf die diversitätsbewussten Öffnung von Institutionen angestoßen?Welche Ideen wirken nachhaltig und welche Strategien haben sich als erfolgreich für die Förderung von Partizipation und Diversität erwiesen?
Die Lern- und Veränderungsprozesse in Bezug auf die diversitätsbewusste Öffnung von Institutionen sind definitiv noch ausbaufähig. Viele Institutionen wie öffentliche Einrichtungen, Universitäten, Stiftungen, Museen, private Unternehmen etc. möchten mittlerweile einen Prozess der diversitätsbewussten Öffnung anstoßen. Nicht immer, aber oft wird die diversitätsbewusste Öffnung mit einigen wenigen Aktionen abgehakt. Wenn ich in den letzten Jahren Anfragen erhalten habe zu den Themenschwerpunkten Vielfalt und Rassimuskritik, waren es meist einzelne Aktionen, wie Präsentationen, Workshops, Publikationen oder Beratungen. Dabei fällt mir immer wieder auf, dass das Thema Diversity in den internen Strukturen bloß einseitig behandelt wird. In den allermeisten Fällen werden für einen solchen Entwicklungsprozess nicht genug Ressourcen bereitgestellt, um einen ganzheitlichen Entwicklungsprozess anzustoßen. Es bildet sich meiner Meinung nach in der Verteilung von den Ressourcen ab, inwieweit sich eine Institution für Vielfalt öffnen möchte.
Ich habe das Gefühl, dass es mehr Tendenzen gibt, sich auf rassismuskritische Inhalte einzulassen anstatt „interkulturelle Kompetenzen“ zu vermitteln, was letztlich der unermüdlichen Bildungsarbeit der zivilgesellschaftlichen Akteuren geschuldet ist. Ich bekomme zumindest keine Anfragen mehr, wo „nach Kompetenzen im Umgang mit den Ausländer:innen“ gefragt wird. Für die Zukunft hoffe ich, dass in den Institutionen das Bewusstsein über die Entstehung der heutigen Machtstrukturen gestiegen und sie sich über die Vorteile einer diversitätsbewussten Öffnung im Klaren sind. Denn erst dann kann ein solcher Prozess angestoßen werden, so dass es nicht bei Bekenntnissen und „PR-Aktionen“ bleibt.
Frage: Welche Strategie für einer diversitätsbewussten Öffnung von Institutionen würdest Du als nachhaltig bezeichnen, und welche nicht? Was ist für eine nachhaltige Diversitätspolitik notwendig?
Eine Strategie für eine diversitätsbewusste Öffnung von Institutionen ist nachhaltig, wenn sie inhaltlich einen holistischen Ansatz verfolgt, d.h. dass sie die verschiedene Dimensionen der Vielfalt, wie z.B. Geschlecht, Ethnizität, sexuelle Orientierung, Behinderung, Alter und so weiter, einbezieht. Sie geht über einzelne Merkmale hinaus und strebt eine umfassende Repräsentation und Integration aller Gruppen an.
Dann finde ich es wichtig, eine nachhaltige Diversitätspolitik fest in den Organisationsstrukturen zu verankern und nicht als Modellprojekt zu betrachten. Vor allem muss die Institution eine langfristige Verpflichtung eingehen. Es sollte nicht darum gehen, kurzfristige Ziele zu erreichen, sondern eine langfristige Veränderung herbeizuführen. Dafür müssen viele Ressourcen bereitgestellt werden.
Eine nachhaltige Diversitätspolitik erfordert auch eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung an sich ändernde Bedürfnisse und Herausforderungen. Die Institution sollte regelmäßig ihre Fortschritte überprüfen, Daten analysieren, Feedback einholen und ihre Maßnahmen entsprechend anpassen.
Frage: Was würdest Du Einzelpersonen, Initiativen, Organisationen, die von außen an Institutionen herantreten bzw. mit diesen kooperieren raten, wenn sie als „Vielfaltsträger:innen“ hinzugezogen werden (in Bezug auf Ressourcen, Haltung, Tokenism, PowerSharing)?
Wenn Einzelpersonen, Initiativen oder Organisationen als “Vielfaltsträger:innen” von Institutionen hinzugezogen werden sollte sichergestellt werden, dass angemessene Ressourcen zur Verfügung stehen. Ehrenamt in einem gewissen Maß finde ich absolut vertretbar. Aber wenn es z.B. darum geht eine ganze Veranstaltungsreihe diversitätssensibel und rassismuskritisch zu gestalten, sind finanzielle Ressourcen notwendig, denn das sind meistens zeitaufwändige Aktivitäten (z.B. Kommunikation, Meetings, Vor- und Nachbereitung der Veranstaltung etc.). Manchmal sind solche Beratungen durch Fördermittel gedeckt. Sie können dann kostenlos durchgeführt werden. Sie sollten von Anfang an abklären, welche Unterstützung sie benötigen, um ihre Expertise optimal einzubringen. Das kann neben finanziellen Ressourcen auch Personalressourcen, technische Ausstattung oder andere benötigte Ressourcen umfassen.
Es sollte unbedingt darauf geachtet werden Tokenism zu vermeiden. Die Akteur:innen sollten darauf achten, dass ihre Einbindung nicht als reine Repräsentation betrachtet wird, um bspw. ein „buntes Foto“ zu machen. Es sollte darauf geachtet werden, dass ihre Expertise und Perspektiven tatsächlich gehört und ernst genommen werden.
Sie sollten echtes Power Sharing einfordern. Sie sollten tatsächlich in Entscheidungsprozesse eingebunden werden und sich dafür einsetzen, dass Ihre Expertise in strategische Planungen, Policy-Entwicklungen und Veränderungsprozesse einfließt.
Letztendlich ist es wichtig, dass die Akteur: innen ihre eigenen Grenzen und Kapazitäten kennen und Ihre Grenzen kommunizieren. Sie sollten realistisch in Bezug auf die Erwartungen, die an Sie gestellt werden sein und klare Grenzen setzen, wenn die Zusammenarbeit nicht den gewünschten Zielen entspricht.
Frage: Wenn Du die Macht und die Ressourcen hättest, eine Institution Deiner Wahl einem diversitätsbewussten Öffnungsprozess zu unterziehen, was würdest Du tun?
Ich würde eine Institution wählen, die groß genug ist, um eine Diversity-Strategie „Top-down“ auf möglichst viele Bereiche anzuwenden.
Ich würde zunächst eine umfassende Ist-Analyse der Institution durchführen, um den aktuellen Stand in Bezug auf Vielfalt, Inklusion und Gleichstellung zu bewerten.
Auf der Grundlage der Analyseergebnisse würde ich eine klare Vision für die Institution entwickeln, die eine diversitätsbewusste Kultur und Struktur widerspiegelt. Gemeinsam mit den Führungskräften und Mitarbeitenden würde ich eine Strategie erarbeiten, die konkrete Ziele, Maßnahmen und Zeitpläne zur Förderung von Vielfalt und Inklusion umfasst. Neben den bereits genannten Maßnahmen für eine nachhaltige diversitätsbewusste Öffnung würde ich einen großen Fokus darauf setzen den Anteil von Personen aus unterrepräsentierten Gruppen in Führungspositionen zu erhöhen. Ich würde Ressourcen bereitstellen für die Identifizierung und Förderung talentierter Nachwuchskräfte, Mentoring-Programme, Transparente Beförderungsrichtlinien und gezielte diversitätssensible Schulungen für Führungskräfte anbieten.
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Dieser Artikel ist Teil einer Publikation, die 2023 vom In-Haus e.V. veröffentlicht wurde. Für weitere Informationen und um dieses Projekt einzusehen, klicken Sie hier.