Fluchtpolitik: Ein Gespräch mit Claus-Ulrich Prölß
Einordnung vorab
Unsere Grundhaltung in Bezug auf Migration und Flucht ist humanistisch und demokratisch: Jeder Mensch hat das Recht zu migrieren – überall auf der Welt.
Wir fragen nicht, ob Migration ein zu lösendes Problem sei. Wir fragen, wie Migration in Würde funktioniert und verteidigen diese Utopie: Wir fordern, dass Migration als Menschenrecht umgesetzt wird.
Am 9. Mai war “Europatag” – wir fordern von der EU als Friedensnobelpreisträgerin: Integrität, Mut zur Solidarität und dass die in der Laudation zum Friedensnobelpreis aufgeführte größte Errungenschaft der EU “ihr erfolgreicher Kampf für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte“ in der Praxis gelebt wird.
Im Rahmen der Internationen Wochen gegen Rassismus 2021 war Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrat e.V., zu Besuch bei uns im Studio. Wir haben uns unterhalten über Europäische Migrations- und Fluchtpolitik, die Situation vor Ort in Köln, Abschiebungen und über Möglichkeiten, aktiv zu sein / werden. Hier ist das Transkript zum Video – Vielen Dank für das Gespräch!
Lesehinweis: Der Begriff “Flüchtling” ist sprachlich umstritten. Wir distanzieren uns von dem Begriff, da wir uns jedoch auf Originalquellen beziehen (Artikel, Gesetzestexte, Statistiken) wird der Begriff an manchen Stellen reproduziert.*
Es hat sich nicht nur im letzten Jahr gezeigt, es hat sich auch davor gezeigt, dass internationale Vereinbarungen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention als Herzstück des internationalen Flüchtlingsrecht EU-Recht, Unionsrecht gebrochen wird, ausgehebelt wird, gedehnt wird. Das zeigt sich gerade in Griechenland. Das zeigt sich aber auch an der kroatisch bosnischen Grenze. Es zeigt sich dadurch, dass illegale Push Backs durchgeführt werden an den europäischen Außengrenzen. Es ist nachgewiesen. Es ist dokumentiert. Es ist bekannt. Es ist allen bekannt. Und es gibt keinerlei Bestrebungen, das zu ändern.
Auswirkungen von Migrations- und Fluchtpolitik in Europa
Die Folgen, die kann man ganz klar sehen. Es sind kaum Geflüchtete in die Europäische Union gekommen, nach Deutschland gekommen, nach Köln gekommen. Und das ist schon eine sehr absurde Situation, weil die Zahlen der Geflüchteten weltweit. Sie steigt weiterhin, sie jedes Jahr ist ein neuer ‘Weltrekord’ und gleichzeitig sinken die Zahlen in Europa ganz erheblich.
Und das muss einem eigentlich Angst und Bange machen. Jetzt könnte man sagen “Das betrifft ja nur Geflüchtete, die sind ja noch gar nicht hier und wir haben Pandemie. Dann müssen wir ja schon irgendwie gucken, dass wir uns schützen und so..” Nein. Wenn ein Staat oder eine Staatengemeinschaft wie die Europäische Union – Friedensnobelpreisträger übrigens – wenn dieses Staatensystem selber Rechtsbruch betreibt, dann fällt es schwer, diesem Staatensystem überhaupt noch zu folgen.
Also wenn Recht nicht mehr eine Rolle spielt, dann muss man sich fragen: Was spielt denn überhaupt noch eine Rolle?
Wir erleben eine Verschiebung von Werten auch in Deutschland mit Sicherheit. Und diese Verschiebung von Werten hat eben auch zur Folge, dass rigide Migrationspolitik dadurch erst ermöglicht wird. So gesehen müssten wir eigentlich alle in unseren eigenen Staaten schauen, dass wir stärker als bisher auf das geltende Recht pochen, dass der Schutz von Geflüchteten nicht nur für die Geflüchteten selber, sondern auch für unsere Gesellschaft existentiell ist.
Abschaffung von Gemeinschaftsunterkünften in Köln?!
Das sind ungefähr 20 Unterkünfte. Es sind 1300 Personen, die in den Gemeinschaftsunterkünften hier in Köln wohnen. Und wir haben nunmehr einen Ratsbeschluss, der beinhaltet, dass alle Gemeinschaftsunterkünfte in Köln aufgelöst werden sollen, jedenfalls innerhalb von vier Jahren. So, das ist schon auch ein Paradigmenwechsel. Es gab einen solchen Beschluss nie vorher in Köln. Wir müssen jetzt nur sehen, dass das nicht nur ein Ratsbeschluss bleibt, sondern dass auch tatsächlich ganz konkrete Maßnahmen ergriffen werden, um diese Unterkünfte aufzulösen. Aber bitte schneller als vier Jahre.
Wie könnte es schneller gehen?
Wir haben in Köln das Auszugsmanagement. Das ist ein Projekt, ein Arbeitsfeld von drei Trägern und der Stadt Köln zusammen. Und dieses Auszugsmanagement gibt es seit zehn Jahren und hat dafür gesorgt, dass dadurch, dass Geflüchtete über dieses Projekt Mietwohnungen beziehen konnten, viele Millionen Euro eingespart wurden, weil die Unterbringung oder die Finanzierung von Mietwohnungen einfach sehr, sehr viel billiger ist als das Leben oder die Finanzierung einer Gemeinschaftsunterkunft. Und dieses Auszugsmanagement sollte sich jetzt auch ausweiten können. Jetzt, gerade aufgrund des Ratsbeschlusses, weil das nämlich sehr erfolgreich ist. Und es gibt keinen Grund, das nicht auszuweiten. Im Gegenteil. Wir hoffen, dass die städtische Verwaltung auch zusammen mit den NGOs Pläne macht und die dann auch umsetzt.
Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen
Die verschiedensten Probleme beinhalten oder zeigen eigentlich strukturelle Defizite. Es sind viele verzweifelte Leute, die sich jetzt bei uns melden. Verzweifelt, aus den unterschiedlichsten Gründen. Verzweifelt, weil sie überhaupt keinen Zugang mehr haben zu Behörden, weil sie nicht wissen, wann Familienangehörige endlich nachkommen können – Stichwort Familienzusammenführung.
Und das sind wahrhaft keine Einzelfälle.
Ein großes Problem ist das Thema Bildung. Die Tatsache, dass seit über einem Jahr sehr, sehr viele Kinder auch hier in Köln abgehängt wurden, dass sie nicht mehr teilhaben können am Unterricht, dass sie auch digital nicht teilhaben können, hat ja dazu geführt, dass man jetzt gar nicht mehr weiter weiß. Wie kann es wieder dazu kommen, dass sie wieder in das Schulsystem hinein kommen können?
Es kann nicht sein, dass das auf den Eltern hängenbleibt und bleibt. Es kann nicht sein, dass es auf dass es darauf ankommt, ob jetzt eine Lehrerin, ein Lehrer sich besonders engagiert oder nicht. Hier muss man auch Geld in die Hand nehmen. Und man müsste hier einen Rettungsschirm finanzieren. Das passiert aber nicht.
Und das Wichtigste – Was können Menschen konkret tun?
Und es gibt natürlich noch ganz viele andere Geschichten. Wir haben ja weiterhin viele Abschiebungen. Wir haben Abschiebungen in Herkunftsländer. Wir haben Dublin Abschiebungen. In Düsseldorf fliegt alle 4 Wochen ein Flugzeug nach Kabul und jede Woche zwei Flieger allein nach Rom.
Da gibt es unheimlich viel zu tun, sich politisch zu engagieren und sich gegen die Abschiebungen einzusetzen. Gerade jetzt in Pandemie Zeiten ein Unding. Aus meiner Sicht völlig verantwortungslos. Und Initiativen, die dagegen vorgehen. Die brauchen auch Unterstützung.
Deswegen kann man nur sagen es gibt eine ganze Bandbreite:
- Man kann Einzelfall Arbeit machen. Man kann einzelnen Menschen helfen. Man kann sie begleiten. Man kann sie unterstützen.
- Man kann sich politisch engagieren.
- Man kann hier über strukturelle Probleme sich engagieren, in Wohnheimen etwa.
- Man kann aber auch sagen “Ich engagiere mich gegen Abschiebungen oder ich helfe mit meinem Auszugsmanagement”. Auch da gibt es eine Verbindung zur Freiwilligenarbeit in diesem Projekt.
Also am besten mal Fragen anrufen. Und ich bin sicher, dass es für jede und für jeden die richtige Möglichkeit gibt, sich zu engagieren.
Mehr zum Flüchtlingsrat e.V.
info@koelner-fluechtlingsrat.de
0221 / 279 171 0
Flüchtlinge
sind laut Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 Personen, die aus begründeter Furcht vor der Verfolgung ihrer Person wegen ihrer ‘Rasse’, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Schutz in einem anderen Land suchen. In amtlichen Statistiken gelten die Bezeichnungen Flüchtlinge und Asylberechtigte nur für Menschen, die schon Schutzstatus besitzen: Asylberechtigte werden nach dem Asylrecht im Grundgesetz anerkannt, Flüchtlingen wird Flüchtlingsschutz nach der Genfer Konvention gewährt. Sprachlich ist der Begriff »Flüchtling« umstritten. So sind Worte mit dem Ableitungssuffix »-ling« im Deutschen verkleinernd und teils negativ konnotiert (Vgl. Eindringling, Schönling, Schädling etc.). Gleichzeitig werden Menschen durch die Bezeichnung »Flüchtling« auf einen Teil ihrer Biografie reduziert. Alternative Begriffe: Geflüchtete, Schutzsuchende oder ggf. Geschützte Personen
Glossar Neue deutsche Medienmacher*innen (ndm)
Weiterführende Links:
- https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eukommission-frontex-pushbacks-101.html (15.03.2021, tagesschau)
- https://www1.wdr.de/nachrichten/wdrforyou/deutsch/wdrforyou-die-rolle-frontex-bei-pushbacks-de-100.html (06.04.2021, wdrforyou)
- https://www.dw.com/de/meinung-unw%C3%BCrdiges-spiel-an-der-eu-au%C3%9Fengrenze-kroatiens/a-55703998 (23.11.2020, DW)
- https://rlc-journal.org/2021/der-reformvorschlag-der-eu-kommission-fresh-start-oder-alter-hut/ (07.04.2021, RLC Journal)
- https://www.tagesschau.de/ausland/europa/migration-eu-rueckkehr-101.html?fbclid=IwAR2JVvLfDoFVc00aXQHHaQU4Ev_Abbn0pn7PfAwifEjbEexe_y9qIJgFcSQ (27.04.2021, tagesschau)
- https://www1.wdr.de/nachrichten/wdrforyou/deutsch/wdrforyou-unrechte-asylsntscheidungen-fuer-afghanische-fluechtlinge-de-100.html (12.03.2021, wdrforyou)
- https://www.tagesschau.de/inland/asylbewerber-171.html (25.12.2020, tagesschau)
- https://www.unhcr.org/globalappeal2021/ (global appeal 2021)
- https://www.proasyl.de/news/fuenf-jahre-friedensnobelpreis-die-eu-muss-sich-an-ihre-eigenen-werte-erinnern/ (10.12.2017, proasyl)
- https://www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/soziales/fluechtlinge/karte-unterbingung/index.html (Map Unterkünfte, Stadt Köln)
- https://www.koelner-fluechtlingsrat.de/arbeitsbereiche/auszugsmanagement (Auszugsmanagement, Flüchtlingsrat e.V.)
- https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/flucht/zahlen-zu-asyl/265765/abschiebungen (12.03.21, Bundeszentrale für politische Bildung)
- https://www.koelner-fluechtlingsrat.de/downloadpresse/2020/99/2020-08-13Abschiebeflughafen_K%C3%B6ln_Bonn.pdf (13.08.2020, Pressemitteilung Kölner Flüchtlingsrat e.V.)
- https://glossar.neuemedienmacher.de/ (Glossar Neue deutsche Medienmacher*innen)
- https://ratsinformation.stadt-koeln.de/getfile.asp?id=803954&type=do (04.02.2021, Ratsbeschluss Stadt Köln)
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